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Zurück am Mekong . . .

05. Februar 2024 - Von Pakxan nach Vientiane

KM 18.282


Unsere Gastgeber im BK Guesthouse sind ganz gerührt, als wir wieder vor der Tür stehen. Besonders der Vater der Betreiberin ist ganz emotional und lächelt die ganze Zeit vor sich hin, wenn er uns sieht. Mitunter kommt er zur Bergziege gewackelt, steht versonnen davor, dann klopft er mir auf die Schulter und murmelt, "Guud Moto!" Mit seinen mageren, krummen Beinen, den grauen Haaren und den vielen Lachfalten hat er die Rolle von meinem Dr. Siri-Film bekommen, der immer in meinem Kopf abläuft. Wenn ich Menschen auf der Straße treffe, besetze ich permanent Filmrollen von Büchern, die ich gelesen habe - im Kopf natürlich. Ist sehr lustig, meistens, wenn auch manchmal ein Fluch. Da sitzen wir irgendwo in einen Lokal und ich beobachte unser Umfeld und schon versuche ich die spannenden Gesichter in verschiedene Filmrollen zu bringen, die meine Fantasie aus den Tiefen verschiedenster Romane holt. Wenn ich dann heute morgen diesen alten Laoten, in seinem indigofarbenen chinesischen Hausjäckchen, in verwaschenen blauen Shorts und mit dunklen rotblauen Socken in den Adiletten durch den Garten schlurfen sehe, so ist er meine perfekte Besetzung für meinen



Dr. Siri. Besonders die Ruhe, die er ausstrahlt, mit seinen schmalen Augen, den schweren Lidern und den vielen kleinen Lachfalten, die sich einem feinen Spinnennetz gleich, um seine Augen spannen. Seine Tochter hatte sich so über den "deutschen Besuch" vor ein paar Wochen gefreut, dass sie unseren oyotr-Sticker auf das Glas ihres Avocadobildes geklebt hat, das großflächig die Guesthouse-Lobby ziert. Wir haben die größte Suite bekommen, die das BK-Guesthouse zu bieten hat. Sofort wird die Klimaanlage eingeschaltet, die rumpelnd und mit lauten Getöse ihren Dienst aufnimmt. Das Ding ist so überdimensioniert, dass es vermutlich in früheren Tagen die Abflughalle des Vientianer Flughafens runterkühlte. Irgendwie hatte ich gehofft, dass die Matratze nun auch das hält, was der Begriff so impliziert, doch ich werde enttäuscht. Auch das beste Zimmer des Hauses, ist ein Zweibrettzimmer. Als ich aufwache, ist mein Rücken,



gefühlt, von eine schier riesigen Zahl an Leichenflecken überzogen, die ein geneigter Pathologe wohl diagnostizieren würde, wenn ein lebloser Körper tagelang auf dem staubigen Bohlen einen Dachbodens rumgelegen hätte. Außerdem fühle ich mich insgesamt so flexibel und verspannt wie eine tordierte Stahlplatte. Doch das Frühstück macht die nächtlichen Qualen vollends wett. Es gibt frisches Baguette und ich meine frisch. Wenn man morgens überwiegend Nudelsuppe oder labbrigen Toast gewöhnt ist und urplötzlich verströmt ein frisches französisches Baguette seinen Duft, dann schalten alle Sinne auf europäische Komfortzone um. Dazu bekommen wir Tomaten und Gurken, frisch aus dem eigenen Garten. Außerdem wird gut gewürztes Gemüse mit Rührei verbacken, sodass unser Frühstück einfach nur köstlich ist.




Wegen der wirklich miesen Straßenverhältnisse nach Vientiane, sind wir dann auch schon um kurz vor 9 Uhr auf der Bahn. Es verspricht ein heißer Tag zu werden. Vorbei ist es mit der Kühle der Berge, wo es nachts um die 10-11 Grad waren und man tagsüber bei angenehmen 24-26 Grad, entspannt durch das atemberaubende Hochland fuhr. In der Mekongebene wird es schnell wieder über dreißig Grad heiß. Außerdem ist tatsächlich keine Wolke am Himmel. Wir haben den Höhepunkt der Trockenzeit erreicht. Ab Ende März, Anfang April wird die Luftfeuchtigkeit täglich steigen und dann kommen nach und nach die ersten Regengüsse. Der Mekong scheint noch weniger Wasser zu führen, als noch vor drei Wochen, als wir das erste Mal durch Pakxan kamen. Unser französischer Rallyefahrer hatte uns eine Alternativstrecke nach Vientiane verraten, da die letzten 60 Kilometer nun wirklich ein Graus waren. Allerdings können



wir noch nicht abschätzen, ob wir diese Strecke tatsächlich erneut als so schlimm empfinden. Besonders nach den Erfahrungen auf der Gräberpiste nach Muang Hiem. Bis Phao fliegen wir durch die Morgensonne, etwa 80 Kilometer über neuen Asphalt. Hier und da muss man immer noch einige Schotterabschnitte befahren, doch die sind inzwischen super planiert, sodass auch hier die Bergziege mit ordentlichem Tempo die steinigen Pfade überwindet. Es geht immer am Mekong entlang, dessen aufsteigende Luftfeuchtigkeit das Licht der warmen Morgensonne diffus reflektiert. Die im Osten liegenden Berge werden noch vom Morgendunst verhüllt und auf dem Rücken merken wir, dass die Sonne heute richtig heiß werden wird. Die Reisfelder, die vor einigen Wochen gerade frisch bepflanzt waren, zeigen sich heute tiefgrün, was ein unglaublicher Kontrast zu der vertrockneten Vegetation am Straßenrand ist.



Kurz vor Phao beginnt wieder das Schlaglochballett. Alle Fahrzeuge kreuzen quer die Fahrbahn, ein Jeder sucht sich den Weg, des geringsten Gerappels. Inzwischen hat ein Bagger die Schlaglochabschnitte mit seiner Schaufel aufgeraut, da aber nicht stante pede eine Dampfwalze darüberfährt, ist die Belagsituation wesentlich schlimmer geworden. Doch es sind nur 6 Kilometer bis Phao und wir müssen nun nicht mehr die gesamte Strecke bis nach Vientiane über diese abbruchreife Straße. Und tatsächlich, eine breite Betonstraße zweigt Richtung Mekong ab. Laut Karte werden wir bis zur Grenzbrücke nach Thailand immer längseits des Mekongs fahren und dann von Süden nach Vientiane reinkommen. Der Mekong ist ruhig, träge und spiegelglatt. Kein Lüftchen regt sich und wenn die Geschwindigkeit stimmt, ist der Fahrtwind sehr erfrischend. Doch nach 10 Kilometern ist die Betonpracht vorbei und wir



kommen auf eine breite, rote Schotterpiste. Trotz leichter Unebenheiten, kann man hier dennoch recht zügig vorankommen. Die Bergziege muss ziemlich arbeiten, aber dafür ist sie ja schließlich gemacht. Angepasst an den Mekong, führt uns die Piste durch Dörfer und Kleinstädte. Alles in allem herrscht hier größerer Wohlstand, als in den Bergen. Zum Schmunzeln finden wir, dass der neureiche Laote unbedingt, die gleiche Hütte haben möchte, wie die anderen Neureichen - Architekurzwang, sozusagen. Es scheint hier einen Neureichen-Einheitslook für die Behausung zu geben. Mit dabei ist auf jeden Fall, das Kuppeltürmchen. Das



mutet zwischen all dem Wellblech, grauen Beton und dunklem Holz sehr seltsam an! Kühe kreuzen immer wieder die Piste, doch während in den Bergen die Hirten zu Fuß folgen, ist man hier ein motorisierter Kuhhirte. Da wir anhalten und seine Herde ohne Stress vorbeiziehen lassen, ist er überglücklich. Das ermöglicht ihm, sich wieder zügig seinem Mobiltelefon zu widmen, während der Fahrt, versteht sich. Lächerlich, nur wegen des Verkehrs seinen Blick vom



Handy zu erheben. Mitten im Nirgendwo taucht ein Wat auf. Sehr prächtig, direkt am Fluss gelegen, läd es uns ein, im Schatten des liegenden Buddhas eine kleine Durstpause einzulegen. Hier ist man gechillt, schließlich ist es ja erst kurz vor 11, heiß und nichts spricht gegen eine Siesta. Irgend ein versprengter Mönch schlurft im Hintergrund von einem Schattenplatz zum Nächsten. Kein Stress bitte. Auf der thailändischen Seite sieht man zwischen den Bäumen die Spitze einer kleinen Stupa. Ein bißchen erscheint es, dass man hier mit der Tiefe der



Spiritualität nicht hinterher hinken möchte. Also wird noch etliches gebaut. Zwei riesige Nagaschlangen, derzeit noch in betongrauer Farbe, flankieren eine Treppe, die zu den grünlichen Wassern des Mekong führen. Überhaupt hat sich die Farbe des Mekong in den vergangenen Wochen ziemlich verändert. Da ich den Fluss bisher immer nur in der Regenzeit gesehen hatte, waren mir die derzeitigen frischen "Wasserfarben" auch ziemlich neu. In der Regenzeit präsentiert sich der Fluss eher schlammig rot. So langsam verändert sich dieser Eindruck. Im Gegensatz zu den vergangenen Wochen, erscheint das Wasser nun eher




gelbgrünlich, denn tiefblau. Das letzte Drittel der Piste ist ziemlich schlecht, mit tiefen, ausgefahrenen Furchen, großen Schlaglöchern und generell sehr unebenen Boden. Wir fahren Kilometer um Kilometer entlang des Mekongs. Manchmal gibt es weder Bäume noch Sträucher, die die Abbruchkante zum 10 Meter tieferliegenden Wasser begrenzen. Die meisten Fahrzeuge, denen wir begegnen, sind lokaler Landwirtschaftsverkehr oder ein paar Pickups. Sonst sind wir



auf uns allein gestellt. Hab der Bergziege etwas Luft aus den Reifen gelassen, damit wir nicht einen Plattfuß riskieren. Hätten zwar ein Reparaturkit dabei, doch wenn der Reifen richtig reißt, dann nützen auch die Notpflaster vom BMW nix. Wir kommen aber problemlos durch den letzten Abschnitt, auch wenn wir ziemlich durchgerüttelt und -geschüttelt sind. In irgendeinem Dorf beginnt auf einmal wieder der Asphalt und auf einer deichähnlichen Straße geht es weiter. Rechts und links liegen tiefgrüne Reisfelder, auf denen vereinzelt gearbeitet wird. Hier sondert ein hagerer Mann, tief vermummt gegen die intensive Sonnenstrahlung, einzelne Halme aus, die offenkundig keinen Ertrag bringen. Wenn ich die Größe der Parzelle bedenke und mir diese Sisyphosarbeit anschaue, dann bin ich immer peinlich berührt. Mir wird hier immer drastisch verdeutlich, welcher Arbeitsaufwand hinter einer Portion Reis steckt. Dann ärgere ich mich immer extremst, wenn ich sehe wie viel Lebensmittel in diesem Land weggeschmissen werden.




Vermutlich genau so viel, wie bei uns. Am Nachmittag erreichen wir Vientiane, checken ins Hotel ein und ich muss zu Tony, damit mein Passbild und mein Antlitz für die thailändischen Grenzposten identisch erscheint. Auch Tom aus Thailand meldet sich, wann wir genau die Grenze passieren, damit er den dortigen Zoll informieren kann. Was ein Service. Tom ist einfach eine Perle! Wie viel Stress hätten wir, wenn er nicht etliches für uns geregelt hätte. Nach dem Essen schlendern wir zum Mekong, um an der Tribüne am Lunapark, den Sonnenuntergang zu erleben. Was ich vielleicht noch gar nicht erwähnt habe, sind die vielen russischen Fahnen, die überall in Laos rumhängen, eigentlich immer gepaart mit der laotischen Nationalflagge. Bezahlt werden die meisten Rechnungen eigentlich von China. Flaggen gibt es aber nur von Russland. Russische Touristen sehen und hören wir auch keine. Seltsam, denn in Thailand und Malaysia sind viele russische Reisende unterwegs. Hinter uns tobt der Nachmarkt von Vientiane. Wir sind nicht Zielgruppe für die laotische Bekleidungsindustrie. Gefakte Parfums, Silberschmuck, Hoodys und hier uns da ein paar traditionelle Röcke für die stilbewusste Laotin runden das



Portfolio der fliegenden Händler ab. Ein bißchen wehmütig sitzen wir am Mekong, denn unsere Zeit, in der wir immer wieder diese südostasiatische Lebensader kreuzen, geht zu Ende. Wir brechen in wenigen Tagen, zum letzten Viertel unserer Reise, nach Indien auf und verlassen Indochina. So ganz kann ich das noch gar nicht fassen, dass wir inzwischen über 18.000 Kilometer gefahrenhintre uns haben und wir damit am Ende unserer südasiatischen Reisezeit angekommen sind. Diese Routine, morgens aufstehen, packen und losfahren, ohne, dass man abends wieder zum Ausgangsort zurückkehrt, hat etwas seltsam Süchtiges. Weiter, nach vorn, Wind im Gesicht und entdecken. Ein bisschen Nomade steckt vermutlich tief in mir. Die Wehmut ist berechtigt, denn man weiß nie, ob man noch einmal hierher zurückkehrt.



Während wir da auf den Jahrundertsonnenuntergang warten, formiert sich hinter uns eine Aerobicgruppe auf der freien Betonbühne. Die junge drahtige Laotin, angetan mit in sportivem Bodystretch und Jane-Fonda-Gedächnisstirnband, legt heißen Lao-Beat auf. Nur lauter Beat ist auch guter Beat. Der Bass bringt die warmern Betonplatten, auf denen wir romantisch dem Naturschauspiel harren, zum Vibrieren. Dann geht es ab. Die Sportlady gibt Gas, auf dass die Meute in Bewegungsekstase verfalle. Das gelingt nur mäßig, der Bewegungenaktionismus des Auditoriums verbraucht auch definitiv weniger Kalorien. Mit der schwülen Romantik ists nun dahin, doch immerhin übertönt die Technomucke die gerade angekommene, chinesische Reisegruppe, die sich in den Vordergrund drängt, um den schönen Sonnenuntergang sekündlich zu dokumentieren! Bonne nuit folks!

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