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AutorenbildIngo

Yogyas Puppenkiste . . .

Aktualisiert: 3. Aug. 2023

02 August 2023 - Yogyakarta

KM 909


Heute morgen war schon viel los. Zuerst haben wir unsere Visa verlängert, was tatsächlich recht einfach online ging - so man denn funktionierendes Internet hat. Die Schwankungen haben dazu geführt, dass wir fast nicht mehr zum Frühstück hätten gehen können. Da nach uns aber noch etliche Leute angeschlumpft kamen, hatten wir kein so schlechtes Gewissen mehr. Außerdem kam heute der Manager, um uns persönlich zu begrüßen. Seit den Interview gestern, scheint aber auch restlos jeder Hotelangestellte uns zu kennen und wir werden mit noch mehr ausgesuchter Höflichkeit behandelt, als es ohnehin in Indonesien üblich ist. Neben uns am Tisch machte sich ein weiteres Bleichgesichterpaar daran, die Spezialitäten aus Yogya zu probieren. Nun ja, irgendwie schien ihnen, oder besser ihr, nicht klar gewesen zu sein, dass es kein continental breakfast geben wird . . . Die Stimmung ist gereizt, sie macht ein Gesicht, während er ungefähr so spritzig daherkam, wie Tut Auch Amun in seinem goldenen Sarkophag. Aber ich mag Männer, die in einem höchst geschmackvoll eingerichtetem asiatischem Speisesaal mit einem Lakers Muscle Shirt auflaufen. Ist mir immer wieder ein Vergnügen. Sie macht nicht nur ein Gesicht, sondern ein richtiges Gesicht und war hurtig nach ein bißchen Alibireis wieder im Zimmer verschwunden. Das Buffet morgens ist einfach indonesisch, mit vielen unterschiedlichen Gerichten, aus denen man gefahrlos eine Einstiegsmahlzeit generieren kann

ohne, dass die Speiseröhre von überzähligen Scoville abgefackelt wurde. Außerdem gibt es für die ganz schwierigen Fälle eine Toast, Butter und Plastikjam-Abteilung. Aber das war auch nicht genehm. Drama ... Drama ... Drama ... Aber wir sind relaxed, denn wir müssen erst zum 16.09. Indonesien verlassen. Das bedeutet, wir können stressfrei die Küste West Javas bis zum Fähranleger Merak im äußersten Nordwesten Javas hoch fahren. Dann können wir intensiv Sumatra bereisen wie uns das hier alle empfehlen. Dementsprechend sind wir beim Frühstück entspannt und ich esse mit Genuss eine zweite Portion Mi Goreng Spesial mit frittiertem Gemüse, Sojasoße und Frühlingszwiebeln. Lecker. Natürlich gibt es auch Yogyas "Nationalgericht": Gudek - eine unreife Jackfruit wird über mehrere Stunden in Kokosmilch gekocht verfeinert mit kleingehackten Charlotten und Knoblauch, gewürzt mit Thaiingwer, Koriander, Kemirinus, Limette, Palmzucker. Laßt mich kurz überlegen: Nein! Jackfruit wollte man mir schon in Vietnam immer unterjubeln , , , Geht nicht, geht gar nicht! Aber der Rest vom Buffet ist klasse. Beispielsweise hatte ich gestern Abend im ViaVia Café Meeresfrüchte mit Tofu in heißer Curry-Kokosmilch auf frischen Nudeln. Kann man nicht meckern, nein wirklich nicht! Oder wie der Westfale sacht: Nicht ganz schlecht! Also essenstechnisch ist das ganz große klasse hier.

Jetzt aber zur Kultur. Wie angekündigt haben wir heute den Kraton besucht, den Palast der Sultane. Da es heute wieder schon zünftig heiß ist, die Sonne sticht und der Wind in den Gassen um den Karton keine Blaskraft hat, ist mir warm! Heißt, die Suppe läuft mir den Rücken runter und vor lauter royaler Ehrfurcht muss man(n) im Palast das Mützchen absetzen.

So ein kulturelles Highlight ist auch gleichzeitig immer ein sozial-touristisches Nadelöhr, wo man alle Bleichgesichter zu sehen bekommt, die man schon auf Flughäfen, in Restaurants oder einfach an anderen Plätzen einer Urlaubsdestination gesichtet hat. Wir kennen alle anderen Bleichgesichter bereits! So strömt die Masse, vielleicht dreißig, fototechnisch schwer bewaffnete, Kulturathleten mit uns ins Puppentheater. Es gibt kein Entrinnen. Direkt hinter dem Eingangstor trommeln und jallern sich die Musiker die Seele aus dem Leib. In einer offenen Versammlungshalle tagt heute das Spiel von Gut und Böse. Es ist ein Schauspiel, das ist schon

mal klar. Dabei gilt es die Generationen getrennt von einander zu beobachten. Beginnen wir mit der Aufführung. Ist natürlich alles auf Indonesisch, versteht sich von selbst. Doch nach vielleicht 30 Sekunden ist der emphatische Theatergänger in der Story drin, ganz ohne englische Untertitel. Es gibt immer eine holde, weißhäutige Maid, die keusche Schöne sozusagen. Dann gibt es den Prinzen, schön, tapfer aber auch ein bißchen begrenzt in seinem Oberstübchen, denn man will ja nicht in den Ruf intellektueller Eitelkeit kommen. Dann gibt es den intriganten fiesen Bösewicht, meist erkennbar an dunklerer Haut und grimmigen Gesichtszügen. Die restlichen Figuren sind Futter für die Komplexität der Story. Der gutmütige Dorftrottel und der Eifersüchtige, der still und heimlich die holde Maid liebt, aber natürlich nicht bei ihr landen kann. Noch ein Bauer, ein Fusssoldat und ein Weiser, der - wie könnte es auch anders sein, mit einem weißen Bart dargestellt wird. Nun zur Story: die Beziehungsmatrix ist nicht so fürchterlich komplex. Die holde Maid hat immer Probleme. Mit einfach allem, is´klar! Nu kommt der Prinz ins Spiel, der muss irgendwie die verworrene Problematik entwirren und lösen. Aber, das braucht Zeit! Auftritt: der Bösewicht (eigentlich die spannendste Rolle, meiner Meinung nach). Er macht durch seine Bosheit die verwirrte Situation noch verworrener, sodass der Prinz auf die Hilfe der anderen Figuren zurückgreifen muss. Bei den Puppen handelt es sich um Stockpuppen,

deren Arme ebenfalls über hölzerne Spanten bewegt werden. Mit viel Liebe zum (dramaturgischem) Detail gefertigt, liebevoll bemalt und gestaltet. Schon schön! Da immer nur ein Spieler alle Rollen spielt, werden die Figuren, die zwar für die Szene wichtig sind, sich aber nicht bewegen müssen, immer in eine Halterung gesteckt. Das passiert meist mit der Prinzessin, die nur blasiert in Starre verharrt und schön aus der Wäsche kucken muss. Während Püppi also erstarrt rumsteht, geht um sie herum die Luzie ab. Bösewicht, der viel stärker ist als Prinz Schönling, liefert sich mit dem naiven Blassen ein ordentliches Fratzengeballer, in dessen Verlauf irgendwie der Bauer, der Fusssoldat und der Dorftrottel draufgehen. Es geht mächtig zur Sache, sodass die roten Bommeln an den Puppen ordentlich rumwirbeln. Im weiteren Verlauf läuft der Eifersüchtige zum Bösewicht über und beide laufen gemeinsam gegen Prinz Schönling, der sich schleunigst Rat beim Weisen holt. Es wird immer verworrener. Aber das Happy End naht, denn gegen Mittag wird es heißer und man will ja als Puppenspieler irgendwann mal heim. Da wir ja nicht beim existenzialistischem Autorenfilm bei Arte sind, bekommen Bösewicht und Eifersucht ordentlich die verkniffenen Visagen poliert und Schönling und Schöne reiten, gleiten oder segeln in den Sonnenuntergang. Eifersucht geht meist noch kurz vor Schluss drauf, so wegen seinem fragwürdigen moralischen Kompass und so. Vielleicht ist da eine Botschaft versteckt, ich weiß es nicht. So viel zum Plot.

Begleitet wird die ganze Szenerie von einem 20-köpfigen Orchester und zwei weiblichen Sängerinnen und dem Puppenspieler. Die musikalische Komposition ist in ihrer Harmonie so zwischen Zahnarztbesuch, dem latenten Gebrauch einer automatisierten Metalltrennscheibe und einem unfähig geblasenen Dudelsack anzusiedeln. Untermalt wird das ganz von den hohen Stimmen der beiden Sängerinnen, die in diesem Teil der Welt sicherlich höchste Anerkennung genießen, sich für das westliche Ohr jedoch eher wie das Rührwerk eines Rowentamixers anhören, welches wegen Überlastung kurz vor der Implosion steht. Kurz gesagt, ich liebe dieses asiatische Tschingbummbummtäterääää! Wirklich - passt einfach hierher. Und manchmal ist ein simpler Plot auch mal ganz schön und mal ehrlich, wer mag schon 5 schwarz gekleidete Männer die im Kreis stehen, rauchen und abwechselnd sagen "Ich leide!" Für den interessierten Leser - ich habe mehrere Videos gedreht, versuche den Originalton zu erhalten, jedoch geschieht das Anschauen und, wichtiger noch, das Anhören auf eigene Gefahr! Nun zum sozialen Rahmenprogramm. Anwesend waren gut 4 Arten westlicher Touristen. Die jüngsten im

Kindesalter, fanden die Puppen und das Gejaule und Gequietsche phänomenal. Dann der/die Jugendliche mit pubertierender Fragezeichenfigur, ließ sich nicht aus der Ruhe bringen, wie auch, waren sie doch die gesamte Aufführung über im schwarzen Loch des digitalen Orbits ihres Mobilgerätes verschollen. Dann war die Fraktion anwesend, auf dem Weg nach Bali, beide noch in Expeditionsbekleidung, mit dem Blick - das pack ich hier nicht. Außerdem waren auch die anwesend, die von Bali kommend einen stop-over in Yogya machen. Er meist noch in Expeditionsausrüstung, mit dem Blick - das pack ich nicht, sie in der gebatikten Ellibuxe, im Lotossitz vorn an der Bühne, mit dem verträumten Blick der in sich ruhend Hatta-Chakren. Großartig. Wenn ich die Indonesier hier nicht erwähne, liegt es daran, dass sie die ganze Zeit nur am Handy rumspielen, ein Selfie mit der Szenerie machen und nach 30 Sekunden verschwunden sind. Wer kann ihnen das bei den Stimmlagen auch verübeln? Fragen über Fragen des Orients!

Was für ein Morgen - Visaverlängerung durch, indonesisches Singen und Klatschen und noch ein tolles soziales Rahmenprogramm.

Der Rest ist schnell erzählt. Vom Palast waren wir ein wenig enttäuscht. Er ist sehr weitläufig, besteht überwiegend nur aus offenen Hallen mit hochgradig polierten Marmorböden. Es gibt die obligatorischen Anleihen holländischer Gastgeschenke - besonders auffällig in den den Tropen sind einfach barocke Holzfiguren in Landsknechtrüstungen. Die ein oder andere Staatssänfte, immer wieder auftauchende vergoldete Lotosblumen als stilisierte Muster und dunkelgrün gestrichene Türen. Sehr schön, sehr gepflegt alles, aber irgendwie wollte die Begeisterung für die royale Behausung bei uns nicht zünden. Einzig das rosafarbene Teeservice hat mein Herz mit Freude erfüllt. Es ist so herrlich kitschig, dass es schon wieder gut ist. Da will ich morgen früh meinen Jasmin-Latté drin serviert bekommen. Durfte man nicht fotografieren, hab ich mich dann auch dran gehalten.

Die restliche Zeit des Tages war laid back! Wir sind durch die Gassen gebummelt, weil es einfach so viel zu sehen gibt. Neben super gutem Kopi Susu haben wir auch viele Eindrücke aus der Altstadt mitgenommen. Alte javanische Häuser mit holländischen Einflüssen, Friseuren, die auf der Straße arbeiten, der Hang der Indonesier zu Vogelkäfigen, Fahrrad- und Mofarikschas, Schachspieler unter freiem Himmel, riesige Tempelwächter, die über Geländer klettern, und, und, und . . .

Morgen fahren wir nach Prambanan, einem alten Hindutempel, der 12 Km entfernt liegt. Bin gespannt, welches Bleichgesicht wir morgen treffen? Bonne nuit.








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