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AutorenbildIngo

Mobiles Beten, Viehtrieb und trockenes Land . . .

Aktualisiert: 10. März

07. März 2024 - Von Ranthambhore nach Orchha

KM 19.867


Tatsächlich verlassen wir um Punkt 8 Uhr, bei schönster Morgensonne, das Hotel Raj Palace Resort in Ranthambhore. Vor uns liegt eine Etappe von gut 300 Kilometern, die uns nach Osten führt in die Stadt Orchha. Bevor der geneigte Leser sich fragt, ob die seltsame Schreibung des Namens Orchha meiner mangelnden Rechtschreibung anzulasten ist, den muss ich enttäuschen. Der Ort wird tatsächlich mit doppeltem h geschrieben.



    Ohne weitere Zwischenfälle verlassen wir das Hotel. Eigentlich können wir uns über das Hotel nicht beschweren, aber irgendwie war man angespannt. Bei einer der letzten Depeschen hatte ich ja erwähnt, dass man derzeit den booking.com-Bewertungen irgendwie in Indien nicht trauen kann. Die Google Rezessionen zu diesem Hotel waren unterirdisch. Vornehmliche Quintessenz ist, dass die Hotelleitung permanent versucht, eine schnelle Rupie zu machen. Da wurden Reisende für bereits vorhandene Flecken in Dekokissen zur Kasse gebeten, alte Wasseringen auf Beistelltischen, Flecken in Bettwäsche und Handtüchern (Sorry, nach einer



staubigen Safari ist Händewaschen wohl kein Luxus) wurden geltend gemacht, und, und, und. Also haben wir alles reklamiert und fotografiert, was wir im Zimmer vorgefunden haben. Wegen der Fettflecken und der Brandlöcher in den Dekokissen, haben wir beim Einziehen um Austausch gebeten, schlecht gewaschene Bettwäsche haben wir sofort austauschen lassen, usw. Der Manager war außerdem so der anbiedernde und auch geleckt-schmierige Typ, der



immer mein Freund sein wollte. So ein richtiger Macho. Nervig. Außerdem wollte er, dass wir vor Ablauf unseres Aufenthaltes schon eine booking.com-Bewertung abgeben. Die Hoteliers in Ranthambhore gehen mit diesen Abzockermethoden ziemlich offen um, denn "schließlich hätten sie nur 9 Monate Zeit, zum Geldverdienen, da der Park ja 3 Monate im Jahr geschlossen sei!" Weit verbreitet scheint auch die „Handynummer“ zu sein, zumindest taucht diese echt perfide Nummer in den Google-Bewertungen immer auf. Die Rezeptionisten fordern die



Neuankömmlinge auf, ihren booking-account zu öffnen und die Buchung zu zeigen, weil man sie angeblich im Computer nicht finden kann. Dann werden blitzschnell 5 Sterne vergeben und das Handy zurückgegeben. Ich lege immer nur einen Screenshot der Buchung vor, was dann zu Unmut führt und außerdem inzwischen auch immer eine Ansicht von den gezeigten/gebuchten Räumlichkeiten. Denn gerne bekommt man eine runtergekommene Absteige und das teuer bezahlte Zimmer wird ein zweites Mal vermietet. Ist kein Witz, ist uns heute schon wieder passiert. Aber dazu später mehr . . .


   Entspannt gondeln wir los, verlassen Ranthambhore und cruisen der Sonne entgegen. In Altranthambhore tanken wir noch mal voll und dann sind wir auf der Landstraße. Bisher sind wir in Indien ja überwiegend auf Schnellstraßen unterwegs gewesen und ich bin richtig neugierig, wie denn der Verkehr so auf dem Land ist. Die ersten Kilometer sind wir noch im unmittelbaren Einzugsgebiet des Nationalparks, weshalb uns häufig noch Safarifahrzeuge begegnen. Doch als wir die schroffen Bergmassive hinter uns haben, wird es richtiggehend einsam. Es ist kühl, so 16 Grad, doch die Morgensonne taucht das Land in ein unvergleichliches Licht. Kleine Dörfer, stark landwirtschaftlich geprägt und offenes Land wechseln sich ab. Da



alles recht grün ist, scheint auf der Hochebene von Ranthambohre noch reichlich Wasser im Boden zu sein. Natürlich würde ich gerne von malerischen kleinen Siedlungen schreiben, doch, was wir an diesem Morgen zu sehen bekommen, ist ein Ausflug in die dritte Welt. Die Menschen hausen hier in Hütten, denen Grundmauern aus unverputztem Ziegel- oder Bruchsteinen geschichtet wurden, die Dächer bestehen aus alten Kunststoffplanen, einerseits zerschlissene LKW-Planen oder andererseits alte Werbebanner. Junge Frauen, in grellfarbigen Saris gekleidet, balancieren Metallschüsseln auf dem Kopf, in dem sie den Kuhdung aufsammeln, der überall in den Dörfern zum Trocknen ausgelegt wird. Kühe, Ziegen und Schafe stromern durch die Behausungen und scheißen überall hin, wo sie gerade gehen und stehen. Jenseits der



Landstraße gibt es keine Straßenbeläge, überall liegen tonnenweise Abfälle rum, die wenigsten Behausungen haben Strom oder fließend Wasser, dass wird von einem Brunnen, mit einer manuell betriebenen Wasserpumpe geholt. Kinder arbeiten bereits mit auf den Feldern, hüten das Vieh oder stehen im Pulk mit den jungen Männern am Straßenrand, die scheinbar keine Tätigkeit zu haben scheinen. Über den Dörfern liegt der strenge Geruch von Tierexkrementen, den selbst die frische Morgenluft und der Fahrtwind der Bergziege nicht zu übertünchen vermag. Das Alter der Menschen ist hier schwer zu schätzen. Harte, wenig ertragreiche Arbeit, Entbehrungen, mangelnde Hygiene und auch ein desolates Gesundheitssystem, lassen schnell altern. Ausgemergelt, mit ihren bunten Turbanen, den ausgeblichenen fahl-weißen langen Hemden, der, von erbarmungsloser Sonne gezeichneten, dunklen, faltigen Haut und ihren struppigen Bärten, sehen die alten Männer aus, wie eine Mischung aus Märchenonkel und dem obligatorischen Wahrsager aus 1000 und 1 Nacht. Mehr sozialer Lebenskontrast im Zeitalter der Digitalisierung geht kaum. Hier hat keiner ein Handy, während in den größeren Städten Indiens, jeder sogar eher zwei Smartphones besitzt. Im Vorbeifahren blicken wir oftmals in müde und auch ausdruckslose Augen, gezeichnet von ihrem unabänderlichen



Gesellschaftsstatus, der scheinbar keinen Ausweg vom Rande des Existenzminimums bietet. Diese frühen Morgenstunden erden uns beide gewaltig und führt uns wieder einmal vor Augen, welches Glück und Privileg wir durch unsere "europäische" Geburt, Ausbildung und Gesellschaftsstruktur genießen dürfen. Beim Abendessen werden wir noch lange über unsere Wahrnehmungen und Beobachtungen sprechen. Indien ist das Land der Kontraste und man darf einfach keine europäische Brille tragen, wenn man hier unterwegs ist. Trotz dieser krassen Lebensform, ist unsere Fahrt großartig. Meist geht es leicht kurvig durch das weite Land. Getreidefelder bis zum Horizont, Obstplantagen und Reis. Dann sehe ich etwas, dass es nur in Indien geben kann. Den Mobile Praying Truck. In einem Dorf steht am Straßenrand ein alter


Mahindra-Truck, das ist das indische Äquivalent eines Pickups, der hinten einen Schrein aufgebaut hat. Der ganze Wagen ist mit Heiligenmotiven Shivas geairbrushed und zwar ganz im Stile unserer Jahrmarktkarussels. Am Steuer sitzen zwei Herren, in dunklen Roben gewandet und haben indische Jallamucke bis zum Anschlag aufgedreht. Mobiles Beten, wenn das kein Geschäftsmodell ist. Wanderprediger hat es in allen Kulturen gegeben, aber das hier, ist schon sehr außergewöhnlich. Vielleicht aber auch nicht, denn in den Dörfern, durch die wir hindurchfahren, haben meist keinen Schrein, von einem Tempel mal ganz zu schweigen. Leider muss ich dem geneigten Leser den Anblick dieses spirituellen Gefährts schuldig bleiben, da ich gerade die Helmkamera ausgeschaltet habe.



    50 Kilometer hinter Ranthambhore senkt sich die Straße merklich und sie führt latent in tiefergelegene Regionen. Das satte Grün der landwirtschaftlichen Flächen verschwindet und wir kommen in eine wüstenähnliche Region. Der Boden ist tiefrot, steinig und lose bewaldet. Allerdings haben die Bäume kein einziges Blatt. Es sieht ein bißchen gespenstisch aus, so wie die kahlen Bäume, leicht weißsilbrig im grellen Sonnenlicht, sich rechts und links von dem Damm der Landstraße, bis zum Horizont erstrecken. Inzwischen zeigt das Bordthermometer der Bergziege bereits 26 Grad an und über der schnurgeraden Straße flimmert die Luft. Rajasthan ist ein Wüstenstaat. Ganz im Westen liegt die Wüste Thar, nahe der Grenze zu Pakistan. Wüste kann man vielfach definieren und dieser Landstrich hier, erinnert sehr an Wüste. Da der Verkehr für indische Verhältnisse nahezu nicht existent ist, können wir sehr entspannt über den Asphalt fliegen. Kurz vor einer kleinen Stadt namens Pauri, kommt unser



Reisefluss massiv ins Stocken. Hier ist Viehtrieb. Wir bleiben in etlichen Kuhherden stecken und rollen im Drömmeltempo der Kühe mit, die die Landstraße bevölkern. Herde um Herde wird über die Straße getrieben und nach etlichen Kuhstaus ist uns auch klar warum. Durch diese Region fließt ein kleiner Fluss, der später kurz vor Agra in den großen Chamball River mündet, der seinerseits irgendwann in den Ganges fließt. Der Fluss liegt tief in seinem Bett, von üppig grüner Vegetation umgeben und das träge fließende Wasser hat bereits eine schlammig-gelbe Farbe angenommen. Etliche Herden werden dort schon getränkt, doch verschiedene Staubwolken vor und hinter uns künden von der eiligen Ankunft durstiger Wiederkäuer.

    Als wir am frühen Mittag die Stadt Shivpuri erreichen, sind wir der Meinung, dass es jetzt für die letzten 130 Kilometer recht zügig gehen wird. Von hier aus führt die Schnellstraße 25 nach Jhansi und weiter nach Orchha. Doch weit gefehlt. Auf unserer Karte ist es eine Schnellstraße und in Zukunft wird es vielleicht auch eine Schnellstraße sein, doch derzeit ist es eine laotisch-indische Straßenkooperation: Der Belag der Fahrbahn ist vergleichbar mit der typisch laotischen Gräberpiste, auf der Hunderte von, grellfarbig bemalten, indischen Ashoka-Leyland-Trucks den Staub aus den Schlaglöchern aufwirbeln. Für 10 Kilometer brauchen wir 45 Minuten und dann beginnt feinster schwarzer Asphalt, auf dem wir laufen lassen können. Zumindest für einige Kilometer, denn dann folgt einige Kilometer ein Straßenstück, wo der alte Belag abgefräst wurde. Die Längsrillen sind so tief, dass alle Fahrzeuge, besonders die hoch überladenen Trucks, bedrohlich schlingern. Dieses wechselnde Asphalt- Fräsballet, zieht sich fast bis Jhansi hin. In Jhansi müssen wir zur Rushhour quer durch die Stadt, was bei einer mittleren indischen Großstadt ein ziemlich, sagen wir mal vorsichtig, intensives Verkehrserlebnis ist. Aber ich erspare dem geneigten Leser, die Hupkannonaden, die Beinahekarambollagen oder die bremstechnischen Nahtoderfahrungen, wenn plötzlich Kühe mitten im Kreisverkehr dösen. Wir haben übrigens das Sprichwort „Nerven, wie Drahtseile“ umgemünzt zu „Nerven wie eine indische Kuh“. Die Gelassenheit, mit der diese Viecher im härtesten Verkehrschaos völlig entspannt bleiben ist sagenhaft.



    Am frühen Nachmittag erreichen wir Orchha. Wir haben zwei Nächte in einem alten "Jagdschloss" gebucht, mit Riverview. Der Manager beeilt sich, uns zu versichern, dass vom River Cottage aus, der Blick auf den Fluss umwerfend sei. Der Begriff "River Cottage" macht mich nachdenklich, denn wir haben das teuerste Zimmer im ganzen Laden gebucht und definitiv kein River Cottage. Der Page schleppt mich 200 Meter von der Rezeption entfernt, zu einer Ansammlung von dunkelrot gestrichenen Hütten, die eher den Charakter von Trailerpark haben. Zeigt mir das schöne, aber enge Zimmer, dass zwar irgendwie ein Riverview hat, doch nicht der Abbildung entspricht, die ich auf booking.com gebucht habe. Wir gehen zurück und ich will wissen, ob es noch andere Zimmer mit Riverview gibt. Natürlich gibt es die und tatsächlich entspricht das freie Zimme auch genau der Abbildung, die ich mir per Screenshot gesichert



habe. "Nehmen wir", teile ich dem Rezptionisten mit, der mich gequält anschaut und irgendwas von "super exklusive Executive Suite" brabbelt und mir mitteilt, dass die Zimmer teuerer seien. Ich halte ihm den Screenshot von der Buchung mit der Zimmerabbildung hin und sage ihm, dass es mich freut, dass wir nun unser gebuchtes Zimmer in diesem großen Hotel finden konnten. Inzwischen stehen natürlich bestimmt 10 Angestellte drumherum und er schwitzt Blut und Wasser. Ich nehme dem Pagen den Schlüssel aus der Hand und teile dem Rezeptionisten



mit, dass unser Gepäck jetzt aufs Zimmer kann. Um kein Gesicht zu verlieren, stimmt er mir zu, schließlich seien wir seine "special guests" und müssten als Geste des Hauses, nicht mehr bezahlen. Ja, ja, blahblahblah! Ich verzichte auf irgendwelche Kommentare, lächle ihn an und frage wo der der private Parkplatz sei, den man mir zugesichert hatte. Natürlich gibt es auch den nicht, daher steht die Bergziege dann direkt vor der offenen Lobby, unter einer üppig großen Sicherheitskamera.



Das Zimmer ist großartig. Malereien unter der Gewölbedecke, Sitzgruppe, einen großen Heißwasserboiler im Bad, der niedrige Balkon geht nach Osten raus und verspricht einen großartigen Sonnenaufgang über dem Fluss, der unter dem Fenster herfließt. Bonne nuit folks!

   




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