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AutorenbildIngo

Königlicher Tempel 2. Klasse . . .

12. Februar 2024 - Bangkok

KM 19.054


Wir wohnen in Phra Nakhon, Bangkoks altehrwürdigem Distrikt Nummer 1. Es ist der zentrale Bezirk Bangkoks, zudem auch die Insel Rattanakosin gehört. Der Phra Nakhon Bezirk grenzt im Norden an die Distrikte Dusit, Pom Prap Sattru Phai, Samphanthawong und auf der anderen Uferseite des Chao Phraya Rivers an Thon Buri, Bangkok Yai, Bangkok Noi und Bang Phlat. Aha, so so. Wichtige Information, mag jetzt der ein oder andere geneigte Leser sagen, doch zur Orientierung ist das hier unerläßlich. Durch einen Zufall sind wir hier mitten in einem der ältesten Viertel Bangkoks gelandet. Klein, verwinkelt, wenn nicht sogar verschroben, durchziehen kleine Gassen die wirre Bebauung dieses Stadtteils. Wir durchstreifen dieses pulsierende Leben zu Fuß, denn unser Hotel liegt nur einen Steinwurf vom touristischen Wahn der Khao San Road, den, in zahlreichen imposanten neothailändischen



Architekturmonströsitäten residierenden Ministerien und verwinkelten Klosterhöfen, Stupas und voluminösen Buddhafiguren. Manche, der schlecht gepflasterten oder mit rissigem Beton belegten Straßen, scheint eine Sackgasse zu sein. Doch zweigt meist am Ende, häufig im Halbschatten tiefhängender Mangobäume, eine noch kleinere, engere Gasse in die Wohnviertel der einfachen Menschen ab. Hier ist man fern unserer Welt, wird umfangen vom Lebensrhythmus eines anderen Kosmos. Die Luft riecht würzig nach Holzfeuer, gegrilltem Huhn oder Fisch mit einer feinen Knoblauch- und Ingvernote, wenn sich auch meist die scharfen Ausdünstungen der Kanalisationen, der Gestank ruppiger Zweitakter und der leicht modrige Geruch Asiens unter die olfaktorischen Eindrücke mischen. In den frühen Morgenstunden werden die Gassen gefegt und anschließend gewässert, um den Reststaub zu binden. Oftmals sind die Wege zwischen den niedrigen Betonhäusern nicht mehr als 1-2 Meter breit. An Mauern und Hauswänden hängt nasse Wäsche zum Trocknen, ordentlich aufgereiht auf biegsamen Bambusstangen im dunstigen Streulicht der Morgensonne. Die Türen der Häuser stehen offen, die Menschen streben ans Morgenlicht. Mittig steht schwankend ein kleines Mädchen mit schlafstrubbeligen Haaren, die kleinen Ärmchen fest um ein rosa Stofftier geschlungen und schaut uns aus großen tiefbraunen Augen am, als wir Bleichgesichter vorüber laufen. Alte Damen hocken auf kleinen, mitunter demolierten Betonbänken, weit überschattet von alten, rissigen Werbeplanen, die abschnittsweise zwischen den Hauswänden aufgespannt sind. Ihre Augen, eingebettet in Hunderte von tiefen Falten, folgen uns in neugieriger Aufmerksamkeit. Ein Wai und ein "Sabaidee" (Hallo) entspannen die Situation und führen zu viel Gelächter.



Jugendliche verschwinden mit lautem Getöse auf den Rollern, um irgendwohin zu eilen, um irgendetwas zu besorgen oder auch nur, um einfach nur für ein paar Stunden der Enge des Heimes zu entkommen. Alte Männer, deren grauen Haare von der Nacht in alle Richtungen stehen, in Unterhemd und verblichenen Shorts, stehenaufrecht, die Hände hinterrücks verschränkt, an den Kreuzungen und beobachten gelassen, die steigende Hektik des Morgens. Vor den Haustüren köcheln schwarzverruste, dampfende Teekannen in glühenden Kohlebecken. Trotz des frühen Tages, ist es bereits sehr warm, was davon kündet, dass es um die Mittagshitze unerträglich sein wird. Um diese Zeit des Jahres, kann es in Bangkok schon mal 40 Grad heiß werden. Zwischen den eng angeordneten Häusern regt sich kein Wind. Außer in den Klosterhöfen, gibt es kaum Bäume in diesen Vierteln. Dennoch stehen vor jedem Haus zahllose Pflanzenkübel, jeder Größe und Beschaffenheit, die mit viel Hingabe, morgens und abends, mit Wasser versorgt werden. Der Beton ist schon so aufgeheizt, dass das Wasser drauf schnell verdunstet und dabei eine rudimentäre heiße Kondenzfeuchtigkeit erzeugt, die erahnen läßt, wie hier wohl die Monsoonzeit aussehen wird. Rodderige Katzen kehren, eng an den Mauern der Gassen orientiert, von ihrer nächtlichen Pirsch zurück. Zottelige Straßenhunde haben sich bereits unter parkenden Autos oder auch mittig auf der Fahrbahn, zu Ruhe begeben und erholen sich von den nächtlichen Aufregungen. Ebenso, wie die Wohnhäuser im Distrikt Nr. 1, so sind auch zahllose große und kleine Wats in das Netz der verwunschenen Gassen verortet, ja häufig nicht einmal sichtbar von der Hauptstraße. Alte Bäume stehen kreuz und quer verteilt um die Usobots oder die Glockentürme und überschatten mit weit ausladendem Zweig- und Blattwerk die Gebäude. Der helle Ton der Glöckchen, die an den Dachfirsten in der mäßigen Brise des



Morgens schaukeln, untermalt mit gedämpften Straßenlärm, der sich seinen Weg durch die Winkelungen der Gassen findet. Inmitten dieses Stadtechos, scheinen die alten Mauern verblichener und verwitterter Wats, leise im Wind vom Rhythmus der Gassen zu flüstern. Autos, Tuktuks und Busse verstopfen schon früh morgens die Hauptstraßen, die Gassen hingegen, sind das Reich der Roller und Radfahrer. Auch jeder noch so enge Weg kann eine Abkürzung sein, Zeit sparen oder auch nur die Möglichkeit bieten, nicht zu lange in der heißer werdenden Sonne stehen zu müssen. Das Verkehrsnetz in Phra Nakhon ist weit entfernt von den großen, achtspurigen Boulevards Sukhumvits, den darüber laufenden Bahntrassen und einer vorausschauenden Verkehrsplanung. Hier ist alles krumm und schief, irrational, laut, zuweilen wird sogar gehupt. Welch ein Kulturschock wird uns ereilen, wenn wir nach Delhi kommen. Hier ziert die Verkehrswege allerorts das Schild "Don´t use horn!", in Delhi geht nichts ohne Hupe. Die kleinen Kanäle Bangkoks transportieren alles in Richtung das großen Flusses, der die Lebensader dieser Stadt ist. Erstaunlicherweise schwimmt nur wenig Unrat auf der Wasseroberfläche der Kanäle und tatsächlich hält sich auch der Wassergeruch in Grenzen. Kleine Brücken ermöglichen einen raschen Gang durch den Distrikt, fernab der großen



Trampelpfade touristischer Sehenswürdigkeiten. In Phra Nakhon liegt auch das "Zentrum" von Bangkok, markiert durch den Stadtsäulenschrein (Lak Mueang). Hier steht auch der Königspalast, das Wat Phra Kaew und das Wat Pho. Ums Eck von der Khao San Road liegt das große Wat Bowonniwet, wo mehrere thailändische Könige zu Mönchen geweiht wurden. Am Fluss steht, neu restauriert und von einem kleinen Park umgeben, das pittoreske Fort Phra Sumen. Von den ursprünglich 14 Festungen, die Bangkok schützten, sind nur noch zwei erhalten, eines hier im Distrikt Nr. 1 und das Fort Mahakan im Osten. Wir schlendern weiter zur Khao San Road, die berüchtigte Khao San Road. Vor 20 Jahren habe ich hier mal, aus Kostengründen, in einem Backpacker Hostel übernachtet, übrigens lange vor Leonardo Di Caprio und ich fand es auch damals schon eher, sagen wir mal vorsichtig, langweilig. „Khaosan“ bedeutet übersetzt eigentlich „gemahlener Reis“, was wohl ein Hinweis darauf sein dürfte, dass die Straße früher einer der großer lokalen Reismärkte war. In den letzten 40 Jahren hat sich die Khao San Road jedoch zu einem angesagten „Backpacker-Ghetto“ entwickelt. Es bietet günstige Unterkünfte, bis hin zu preisgünstigen Drei-Sterne-Hotels. Ich erinnere mich, dass mein Zimmer damals nicht mal ein Fenster hatte. Nicht, dass ich schlecht geschlafen hätte, aber die Straße ist, wie sie eben alle auf der Welt gleich sind, sobald Backpacker den vermeintlich urigsten Spot irgendwo gefunden zu haben meinen. Mit der Legalisierung von Gras, hat sich nun das leicht "anrüchige", oftmals nur hinter vorgehaltener Hand gemunkelte Image, ins Tageslicht der Normalität gerückt. Wo früher alles unter der Ladentheke gehandelt wurde und zumindest noch ein Hauch von abenteuerlicher Illegalität den Nervenkitzel ausmachte, ist heute ausschließlich öffentlicher Kommerz zu Gange. Hochglanz Weed-Shops, mallorcaidentische Bierkneipen, Schmuckgeschäfte, billige Bekleidungskopien, zweitrangige Massagesalons, Tattoostudios und teure Backpacker-Restaurants mit schlechtem Essen, säumen die Straße, die tatsächlich bei Tageslicht einen trostloseren Eindruck macht, als Las Vegas - und dass will schon was heißen.



Laut der Khao San Business Association wird die Straße in der Hochsaison täglich von 40.000 bis 50.000 Touristen und in der Nebensaison von 20.000 pro Tag besucht. Hier trifft man sie alle, von den gestrandeten Glücksrittern, die stoned, mit offenem Hawaihemd, peinlicherweise, vom ökonomischen Riesenerfolg in ihrer teutonischen Heimat fabulieren und gleichzeitig den vorbeikommenden Reihenhausgermanen auf ein paar Bath anschnorren. Mittelalterliche Pluderhosen, Piercings, Dreadlocks, auf der Suche nach Freiheit und ihrem Recht auf Weggetreten sein, junge, unsichere Bodybuilder aus den digitalen Metropolen des Westens, laufen mit freiem Oberkörper, Mua Thai Shorts, übergroßen Kopfhörern und weißen Markensneakern durch die verdreckte, heruntergekommene Zone des legalisierten, illegalen Abenteuers, des billigen Alkohols und versuchen sich, cool gebender Weise zu amüsieren. Dazwischen eilen hoch geschlossen gekleidete Thais dahin, wie ein ironischer Bilderwitz,



mit der Frage, "Was passt hier im Bild nicht?" Die meisten Reisenden, die hier in den Shops, Bars und Tattoostudios sitzen, sehen gelangweilt, ja sogar nahezu enttäuscht aus, denn der Ruf der Khao San Road ist größer, als sich das Antlitz des Abenteuers bei Sonnenlicht offenbart. Schocking ist der letzte Ausweg, um den Touristen eine Gänsehaut zu verschaffen, die den zwielichtigen Ruf rechtfertigen würde. Allabendlich taucht ein Skurrilitätenkabinett aus der Versenkung, die so daneben sind, dass man echt nur noch den Kopf schütteln muss. Hier treten Bauchladenverkäufer auf, die frittierte Spinnen, Skorpione und kleine panierte Schlangen feil bieten. Grusel-Cuisine hilft immer. In China gibt es das schon seit 30 Jahren auf der Wang Fu Ji in Peking. Hier erweckt es den Anschein, als solle damit eine "Mutprobe" verbunden sein, zumindest wird es so "aufgezogen". Weiter runter die Straße wird jeden Abend ein Krokodil ausgeweidet, der Kadaver in ein Grillgestell gespannt und dann "spanferkelmäßig" über dem Feuer publikumswirksam gewendet. Ist nicht so, als hätte ich nicht schon Krokodil gegessen, in Ostafrika stand es sogar oftmals auf der Speisekarte. Doch hier gerät es mehr zur grausigen Effekthascherei.



Zwischen dem Chao Phraya River und der Khao San Road, eröffnet sich dann plötzlich ein Ort der Ruhe. Man tritt durch ein weiß gekälktes Tor und landet in einer ziemlich großen buddhistischen Klosteranlage. Das Wat Chanasongkhram Ratchaworamahawiharn ist ein königliches Kloster zweiter Klasse. Aha, so so! Königlicher Tempel zweiter Klasse! Was auch immer ein königlicher Tempel erster oder zweiter Klasse sein mag, es ist schlagartig ruhig hier. Glockenlaute sind omnipräsent, die Schatten der alten Bäume und Palmen laden zum Verweilen ein und es läuft außerdem gerade die Mönchssprechstunde. Der Tempel ist ein altes Kloster, das vor der ersten Rattanakosin-Periode, also vor 1782 erbaut wurde. Ich habe gelesen, dass die Anlage früher mal „Wat Klang Na“ hieß, wörtlich übersetzt, "Tempel in der Mitte des Reisfeldes",






Wir mögen die Stimmung in diesem Tempel und der Name drückt tatsächlich auch diese Harmonie aus und wenn man bedenkt, dass wir gerade von der Khao San Road kommen, ist das ein krasser Kontrast, auch im poetischen Sinne. Irgendwann wurde der Tempel um ein Kloster erweitert, um Mon-Mönchen Wohnraum zu bieten. Der Tempel wurde zu einem Zentrum der Mon-Sekte des Buddhismus, da er Mon-Soldaten zuteilte, die im Krieg mit Burmesen eine große Truppe bildeten. Interessant, wie nah hier die Spiritualität mit Mord und Totschlag verbunden ist. Der Tempel wurde nach Kriegsende (mit den Burmesen!) restauriert und zum königlichen








Kloster ernannt. Die Umbenennung zum heutigen Namen, „Wat Chana Songkhram“ hing eng mit den drei thailändischen Siegen über die Burmesen zusammen. „Wat Chana Songkhram“ bedeutet „Sieg des Kriegstempels“. Mir hat der Name "Tempel in der Mitte des Reisfeldes" wesentlich mehr zugesagt, aber ich bin da ja auch nicht maßgeblich. Warum das Wat jetzt nur 2. Klasse unterwegs ist, konnte ich nicht eruieren. Im Innern ist er jedenfalls sehr schön restauriert und besonders die Decke des Usobots ist mit reichlich Gold dekoriert worden. Die Klosteranlage selbst, ist schachbrettartig aufgebaut und besteht aus entzückenden Häusern, traditionell im Erdgeschoss mit verputzen, hellgelb gestrichenen Wänden und das 1. Geschoss wurde mit dunklem poliertem Holz konstruiert. Kleine alleeartige Wege führen rechtwinklig durch die Anlage. Wirklich, zum Niederknien schön.






Zum Sonnenuntergang kommen wir zufällig wieder am Königlichen Kloster zweiter Klasse vorbei. Auf der Straßenseite des Wats geht niemand. Auf der anderen Straßenseite streben Hunderte, laut knatternde Tuktuks, beladen mit parfümierten Bleichgesichtern, dem gegenüberliegenden "Eingang" zur Khao San Road zu. Wir lassen den Trubel hinter uns und streben durch die Gassen zum Chao Phraya River. Die Gassen hier sind zwar auch touristisch geprägt, doch hält sich der Trubel und die grölenden, halbnackten Markenbotschafter des Westens in Grenzen. Die Sonne versinkt wieder mal blutrot im Westen Bangkoks. Es wird lau und mild, während wir uns eine Bank suchen, mit Blick auf den kleinen Park mit seinem Pavillon und dem pittoreske Fort Phra Sumen. Bonne nuit folks!





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