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AutorenbildIngo

Indische Stufenbrunnen . . .

03. März 2024 - Von Jaipur nach Ranthambhore

KM 19.566


Auf dem Weg nach Ranthambhore, machen wir in dem kleinen Dorf Abhaneri einen Zwischenstop. Hier ist nichts, wirklich, so gar nichts. Eine Tiefebene erstreckt sich von Jaipur nach Agra. Irgendwo dazwischen, kurz hinter der Stadt Dausa, liegt das 2000-Seelen-Nest Abhaneri. Wenn man - sprichwörtlich - nicht schnell genug abbremst und rechts von der Jaipur-Agra-Road abbiegt, ist man schon vorüber. Kein Mensch würde nach Abhaneri fahren, gäbe es da nicht einen westindischen Stufenbrunnen, einen sogenannten Baori. Fast überall in Indien gibt es diese Brunnen, doch in Rajasthan tauchen sie recht geballt auf. Der Chand Baori ist ein Stufenbrunnen, der etwa 30 m in den Boden reicht und ist damit einer der tiefsten und größten Stufenbrunnen Indiens . . .



Im weichen Streulicht des frühen Morgens verlassen wir Jaipur, um uns auf den Weg nach Süden zu machen. Es ist - zumindest für uns - ungewohnt kalt heute morgen, als wir die Bergziege durch die verwinkelten Gassen des Palastbezirks lenken. 18,5 Grad rechtfertigt schonmal die Griffheizung, finde ich! Sonntag morgens ist in Jaipur die Kuh noch begraben. hier und da ein paar Gestalten, die sich im Gegenlicht nicht besonders genau abzeichnen. Auch die verschiedenen Tore der unübersichtlichen Mauerkonstruktionen des Maharadjapalastes liegen



nahezu einsam und verlassen da. Hier und da steht eine glotzende Kuh oder auch ein Stier in der Gegend rum und beäugt misstrauisch die trügerische Ruhe des Morgens. Natürlich machen wir dem Hawa Mahal eine Abschiedsaufwartung. Der liegt strahlend in der Morgensonnen vor einem unnatürlich blauen Himmel. Wenn das kein Kaierwetter zum Abschied von Jaipur ist, dann weiß ich es auch nicht! Verkehrsmäßig ist hier schon recht viel los, doch die Reisebusse,



die normalerweise hier die Straße nach Amber verstopfen, harren wohl noch vor den einschlägigen Hotels auf die sightseeingwillige Meute. Der frisch renovierte Rotton der Palastfassade bildet einen unglaublichen Kontrast zum blauen Morgenhimmel, dass wir uns nur schwer losreißen können. Doch es hilft nichts, wir müssen auf die Bahn. Erst noch mal tanken - Indian Oil hat hier eine riesige Tanke, die das gute Zeug, 95er, führt - also nichts wie hin.





Jaipur liegt in recht hügeligem Gelände und nachdem wir die Suburbs hinter uns gelassen haben, führt die Straße plötzlich zwischen zwei Felsnasen in die Tiefe eines kleinen Tals. Über dem Tal liegt dichter Hochnebel, den die Sonnen im Gegenlicht schwefelgelb färbt. Schlagartig wird es nass-kalt und ich muss zugegen, dass es schon ein bißchen ins Mopedjäckchen



reinzieht. Wie überall in und um Jaipur, tauchen bauliche Zeugnisse der glorreichen Mogulzeiten auf und so auch hier. Die Straße führt uns zwischen den verblichenen gelben Mauern, Giebeln und Türmchen längst vergessener Blüte entlang, bis wir etliche Kilometer weiter die Jaipur-



Agra-Road erreichen. Bis Abhaneri sind des gut 90 Kilometer, was nicht ganz auf dem Weg nach Ranthambhore liegt, aber der Umweg von 30 Kilometern ist hier wohl kulturhistorisch gerechtfertigt. Die eigentlich Fahrt ist recht entspannt, obwohl sie landschaftlich und auch fahrtechnisch nicht so die spannendste Route ist. Der Verkehr ist lose, verdichtet sich nur an den Knotenpunkten zu dem üblichen Gewusel, doch ansonsten bleibt es ruhig. Die nebelige



Stimmung hält fast bis Abhaneri. Genaugenommen, sind das genau die grauen Wolken, die wir gestern in Jaipur hatten. Anhand der riesigen Pfützen muss hier gestern Abend oder heute in der Nacht ein respektables Unwetter nieder gegangen sein. Ungewöhnlich für die Jahreszeit, doch wo spielt das Klima gerade nicht verrückt. Um 10:30 Uhr erreichen wir das Nest, das der Herrgott hier in einer Sekunde der Vergesslichkeit erschuf. Wie gesagt, niemand würde nach Abhaneri fahren, wäre da nicht der Chand Baori, der Stufenbrunnen, aus dem 8./9. Jahrhundert! Was ist also nun dieser Stufenbrunnen und warum treten sich hier spätestens gegen Mittag die Touristen die Füße platt? Stufenbrunnen sind Brunnen, Zisternen oder Teiche mit einem langen



Treppenkorridor oder auch geometrischen Treppenkonstruktionen, die bis zum Wasserspiegel hinab reichen. Aufgrund der symmetrischen Bauweise ist es egal, wie hoch der Wasserpegel reicht, denn man kann immer bequem über eine Treppenformation zum Wasser gelangen. Auf einer der Infotafel steht, dass Stufenbrunnen auch in die Kategorie unterirdischen Architektur gehören. Aha, so so. Vom 7. bis zum 19. Jahrhundert sind im Westen von Indien wohl etliche dieser Bauwerke entstanden. Wir haben selbst noch nie einen gesehen und da Abhaneri nun gerade so vor der Haustür liegt, schauen wir vorbei. Wenn wir nicht genau gewusst hätten, was wir suchen, würde man glatt daran vorbeifahren. Das Bauwerk befindet sich ja sozusagen in der Erde und daher ist sein oberirdisches Auftreten eher mäßig spannend, bis total langweilig.



Doch als wir die Anlage betreten, sind wir richtig gehend beeindruckt. Über die Ursprünge des Brunnens kann man nur spekulieren, denn es sind keinerlei Zeugnisse in Schriftform überliefert, die Aufschluss geben würden. Vermutlich stammt der Name von irgendeinem lokalen Raja, doch da auch hier wieder Mord und Totschlag für unruhige und auch ungenaue Überlieferungen sorgen, weiß man Nichts genaues nicht! Was man nun genau sagen kann ist, dass der Zweck des Brunnens, neben der offenkundigen Wassergewinnung, auch spiritueller Natur war. Viele dieser Stufenbrunnen, darunter Chand Baori, spielten demnach eine wichtige Rolle bei religiösen oder zeremoniellen Aktivitäten. Es heißt, Pilger hätten nach ihrer langen Reise Trost darin gefunden, ihren Durst zu stillen und auf den Stufen von Chand Baori einen Rastplatz zu finden. Der Brunnen weist an drei Seiten einen geometrisch konstruierte


Treppensystematik auf und an der nördlichen Brunnenseite wurde eine "palastartige" Fassade eingefügt, die sicherlich irgendwann einmal einen Schrein oder sowas in der Art beinhaltet hat. Rund um den Brunnen sind Bänke aufgestellt, die wir eifrig nutzen, um das Bauwerk zu bestaunen. Leider können wir nicht auf die eigentlichen Treppenkonsturktionen, was ich schade finde. Doch, wenn ich daran denke, wie sich viele Touristen an solchen Orten verhalten haben, also was wir so in den vrgangenen Monaten so beobachten durften, dann ist mir klar, warum das nicht mehr gestattet ist. Auf den ersten Blick besticht die unbedingte Symmetrie derart, dass man einen zweiten Blick benötigt, um das Alter der Anlage wahrzunehmen. Hier und da sind Flächen gesackt und die visuelle Gradlinigkeit leidet etwas. Doch, wenn man daran denkt, dass dieser Brunnen aus dem 8./9. Jahrhundert ist, dann bin ich wirklich beeindruckt. Alleine, die Möglichkeit, trotz saisonaler Witterungsschwankungen, immer den Wasserspiegel - bis zum Grundwasserspiegel - erreichen zu können, ist wohl schon eine geistige und bauliche Meisterleistung, im Gegensatz zu einem schnöden westfälischen Ziehbrunnen aus dem gleichen Zeitraum. Angeblich ist die Basisverkleidung des Boden unter der Treppenkonstruktion ohne



Mörtel gebaut, was ich schon echt außerordentlich finde. Ein schönes Ding, wirklich! Gegen Mittag wird es voll. Nun sind die ganzen Reisebusse aus Jaipur oder Agra eingetroffen und spucken unaufhörlich Reisegruppen aus. So machen wir uns auf, die letzten 130 Kilometer bis nach Ranthambhore zu fahren. Morgen müssen wir früh raus, denn es geht auf Safari. Bonne nuit folks.



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