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Gartengeräte . . .

19. April 2024 - Bhaktapur

KM 21.716


Bhaktapur ist eine sehr vielfältige Stadt. Vermutlich haben wir hier bereits alles "touristische" gesehen. Es ist nicht groß, sondern vielmehr ziemlich familiär. Man kann sein Altstadtticket in eine, 3 Monate gültige, Besucherkarte umwandeln. Dazu sind wir in den vergangenen Tagen zur Hauptstelle der Touristeninformation gewackelt, Passbilder im Gepäck und nach viel Schnibbel- und Bastelarbeit, reicht uns der überaus freundliche Ticketmaster, zwei amtliche Lichtbildausweise, für 3 Monate Bhaktapur Altstadt. Danach ist er verschwitzt, weil der Kopierer streikte und der Büro-Ventilator nur auf Stufe 5 läuft, weshalb unsere Passbilder immer quer durch das Büro fliegen. Zwischendurch versagt dann auch noch die Wasserspülung der öffentlichen Toilette, die dem Büro angeschlossen ist. Wir haben ihm gesagt, dass wir am 29.5. fliegen, doch er hat die Besucherkarte auf die volle Visumszeit ausgestellt, denn er meinte, wenn wir den Flieger verpassen, könnten wir wieder her kommen. Mitgedacht, keine Frage!



Wenn wir nun morgens das Tickethäuschen passieren, werden wir winkend begrüßt und ein fröhliches "Namaste" wird über den Straßenstaub hinübergebrüllt. Wir haben es uns zur Regel gemacht, morgens immer erst am Taumadhi-Platz im Himalayan Java Coffee House einzukehren und vom Balkon in der dritten Etage aus, so dem morgendlichen Treiben zuzuschauen. Das ist irre spannend, denn hier passiert so viel. Der Platz ist eigentlich klein, damit überschaubar und neben dem Durbar Sqaure, der populärste Ort in Bhaktapur. Gegenüber liegt die Nyatapola-Pagode, daneben der rechteckige Bhairava Tempel und die



umliegenden alten Häuser beherbergen Souvenirshops, Handwerksbutzen, Restaurants, richtige Wohnhäuser, natürlich auch Hotels sowie Guesthouses. Autos dürfen nur in den Morgenstunden den Platz passieren, Motorräder ganztägig. Aber eben nur diagonal, da diese Strecke die Hauptverbindung zwischen unterer und oberer Stadt ist. Bhaktapur liegt auf mehreren Hügeln verteilt und somit wandert man immer hoch und runter, wenn man von einem Stadtteil zu nächsten will. Was uns so gut gefällt ist, dass dieser kleine, überschaubare Bereich



für uns momentan eine tolle Gelegenheit ist, unsere intensive Reise der vergangenen Monate, ruhig und beschaulich auslaufen zu lassen. So sitzen wir da oben auf dem Balkon, wie einst Waldorf und Stattler und genießen die Show. Nach ein paar Tagen haben wir nun auch schon so vierteltechnische Regelmäßigkeiten entdeckt. Meist wird unser Karamell-Latte und der Cappuccino gegen 10:30 serviert, die Service-Kräfte freuen sich inzwischen auch immer schon mit einem Grinsen, wenn wir die Treppe hoch laufen. Dann beginnt das Taumadhi-Gambit. Zum nächst kommt der Milchbringedienst. Ein würdig dreinblickender, älterer Mann schiebt sein



Fahrrad von der Unter- zur Oberstadt. An seinem alten Ewigtreter sind einige Milchkannen festgetüdelt, die Menge variiert je nach Lieferaufträgen. Meistens schiebt er, denn das Pflaster ist ein Graus, also für Fahrräder zumindest. Manchmal schließt sich dann die Lieferantenfraktion an, aber so richtig große Fahrzeuge gehen gar nicht durch die engen Gassen, so kommen da schon mal ganz süße Vehikel entlang geöttelt. Natürlich sind die ganze Zeit Rollerfahrer auf dem Platz unterwegs, irgendwie immer von A nach B. Auf dem Weg in die



Oberstadt passiert man die Stelle zwischen dem Nyatapola Tempel und dem Bhairava Tempel. Letzterer ist die erheblich wichtigere Stelle, der der geneigte Hindu seine spirituelle Aufwartung machen sollte. Was dann so aussieht: Es kommt ein Lieferanten-Roller aus der Unterstadt, auf dem Rücksitz eine arbeitstechnische Hilfskraft, die mit ausgebreiteten Armen, ein oder zwei Spiegel, der Größe DIN A0, zwischen sich und dem Fahrer, auf den Knien balanciert. Wenn nun die religiöse Meerenge zwischen den zwei Tempeln naht, nehmen beide Besatzungsmitglieder ihre rechte Hand aus der Arbeitssituation heraus und führen die Hände dreimal hinter einander



von der Stirn zum Brustbein. Dem geneigten Beobachter entgeht nicht, dass der Roller dabei immer heftig ins Schlingern gerät und natürlich die fragile Fracht immer kurz vorm Runterfallen ist. Was soll ich sagen, immerhin scheint die spirituelle Intervention schlimme Unfälle zu verhindern. Inzwischen können wir den gläubigen Hindulieferdienst vom eher atheistischen Lieferdienst super unterscheiden, obwohl in der Regel beide Fahrzeuge durch großflächige Ganeshaaufkleber gesegnet zu sein scheinen.



Am Bhairava Tempel gibt es im unteren Bereich einen extrem hoch frequentierten Schrein, wo nahezu alle gläubigen Hindus Halt machen. Kala Bhairava ist eine Shaivite-Gottheit, klaro, die von Hindus als eine mächtige Manifestation oder ein Avatar von Shiva und von Buddhisten, als Darstellung des Boddhisatva Mañjuśrī gleichermaßen verehrt wird. Aha, so so, dass erklärt natürlich einiges! Also, spirituell gesehen, scheint hier die Erde permanent zu beben. Ein älterer




Mann kommt täglich morgens, um dem Schrein seine Aufwartung zu machen, sitzt dann meist im Schatten davor, auf einem, vor sich hin rottenden Holzbalken und schaut zu, wie die Zeit vergeht. Doch auf dem Taumadhi-Platz ist immer Tusi, aber so richtig. Nachdem die Neujahrsfeierlichkeiten ja nun abgeschlossen sind, dachten wir, es wird ruhiger hier, ha, weit gefehlt. Nun geht die Newari-Feste-Saison los. Gestern gabs irgend einen Ritus für Jungs, wir konnten nicht rausfinden, was das war, aber es ging hoch her.



Alle waren rausgeputzt bis zum Umfallen. Dann reiste die ganze geladene Meute ein und feierte direkt im guten Stübchen nebenan, sodass wir einen einzigartige Show zu sehen bekamen. Am meisten beeindruckt hat uns der Kollege, in Anzug und Dhaka Topi, der einen Hahn auf dem Arm trug, dem man vermutlich wenige Minuten zuvor den Hals umgedreht hatte. Kein Witz. Auch die Kupferteller mit Ringelblumengestecken, Butterkerzen und dem abgeschlagenen Ziegenkopf haben unseren Nachfrückstückskaffee recht abenteuerlich gemacht. Heute war es zunächst still und ruhig auf dem Platz, doch ab 11 Uhr ging die Luzie ab, Es ist Hochzeitssaison in Nawaricountry. An der Straße, die wir immer runter in die Altstadt laufen müssen, hat ein



Blumenladen seinen Sitz und er scheint das Monopol für das Schmücken von Hochzeitsautos zu haben. Seit gestern Morgen stehen da Hochzeitskarossen Schlange, um sich Blumengestecke mit Tesafilm (!) auf den Fahrzeuglack kleben zu lassen. Jau - Tesa, sehe schon die fragenden Augenbrauen der Fahrzeuglackierer hochschnellen. Aber egal, heiraten ist hier eine ernste Sache, denn inzwischen ist es auch hier ein Multimediaevent. Mehr als eine Braut wäre heute in der Hitze, beim 627. gestellten Schmachtblick für den zukünftigen Glückspilz, fast umgekippt.



Kapelle, spirituelle Begleitung, Tante Rosi und die Mädels von nebenan, alles muss dabei sein. Wer so richtig auf den Putz hauen will, organisiert noch eine goldene Kutsche. Im Hinterhof vom Himalayan Java Coffee House hat sich so eine Combo schon mal warm gespielt, aber richtig mit Tenorhörnern, Trommeln, Quetschkommode und Klarinette. Dann zieht man auf den großen Platz und das Tschingbummrassatäteretäää geht in die Vollen. Großartig, gleich den zweiten



Latte bestellt und Speicherkarte gewechselt. Wir waren so ein bißchen gespannt, welche Tierkadaver denn heute so auf dem Gabentisch landen, aber das war eher enttäuschend. Wir konnten hier und da aber einen Blick auf die Gaben werfen und die großen Kupferkessel hätten Miraculix definitiv neidisch gemacht, uns auch, ehrlich gesagt. Bei Hochzeiten scheint es mehr so gediegen her zu gehen, so ohne Tierleichen. Nachdem die Hochzeitsgesellschaft mit ihrer Prozession zum Durbar-Square weiter gezogen ist, schlagen die meisten Reisegruppen auf. So gegen 12 -12:30 Uhr scheint das Zeitfenster der Stadtführungen am Taumadhi-Square zu sein.



Ich sage nur soviel, die Sinologen-Rentner-Gang bekommt auf jeden Fall das Prädikat "Kreativstes Reise-Outfit", so viel ist mal sicher. Also der Topact war der Gandalf-Wanderstab und dazu ein schwarzgelb geringelter Häkelhut - großartig. Aber, irgendwann müssen wir ja auch mal wieder in Kultur machen und so schleichen wir uns durch die schattigen Gassen zu Durbar-Square, um den Palast zu besuchen. Wenn man so durch die Seitengassen geht, vor



allen Dingen die, die etwas abseits der ausgetretenen Touritrampelpfade liegen, dann sieht man noch die krassen Spuren, die das Erdbeben in Bhaktabur hinterlassen haben muss. Immer noch werden die Fassaden vieler Gebäude abgestützt, darunter auch Teile des Palastes. Da Bhaktapur alles wieder aus eigener Kraft richtet, bspw. durch die Touristen-Altstadttickets, wird es wohl noch ein wenig dauern, bis alles wieder im Urzustand ist.



Am Durbar-Square geht der Hochzeitsmarathon weiter, überall finden Fotoshootings in der brütenden Mittagshitze statt. Ich fließe das schon im Tshirt weg, wie muss sich da erst die Braut mit Schichten von Bekleidung und ehetechnischer Kriegsbemalung fühlen? Auf zum Goldenen Tor, was der Haupteingang zu den Palastanlagen ist. Der ehemaliger königliche Palastkomplex beherbergte vom 14. bis 15. Jahrhundert die Malla-Könige von Nepal und vom 15. bis Ende des 18. Jahrhunderts die Könige des Königreichs Bhaktapur, bis das Königreich 1769 erobert wurde. Der Durbar Square ist UNESCO-World-Heritage, doch das Erdbeben hat dem Komplex so zugesetzt, dass man den Teil, der "Palast der 55 Zimmer" genannt wird, derzeit nicht besuchen kann. Einsturzgefahr! Der übrige Teil hat eine große heilige Hindusstätte, die für uns Bleichgesichter aus dem Abendland verboten ist. Das Lum dhvākā, das Goldenes Tor, bildet den Eingang zum Innenhof. Etliche Goldschmiede verstarben während der Fertigungsphase des



Tores, Goldmangel verzögerte die weitere Fertigstellung und so ist es in der heutigen Form immer noch nicht komplett fertig gestellt, zumindest nicht nach den Plänen aus dem 17. Jahrhundert. Damit der ein oder andere Altmetallhändler nicht in Versuchung kommt, seine Laubsäge zu zücken und hier und da mal daranentlang zu säbeln, steht immer ein ziemlich drahtiger Gorkha-Soldat, mit einem finster aussehenden Schnellfeuergewehr daneben. Alles in allem, habe ich nicht alle mytologischen Zusammenhänge begriffen, aber schön anzuschauen ist es alle mal. Leider kann das geneigte Bleichgesicht im Innern nur den königiglichen Brunnen bestaunen, denn der Rest ist einsturzgefährdet oder spirituell anderen Glaubensrichtungen



vorbehalten. Immerhin dürfen wir in den Tempel schauen, der sehr eindrucksvoll aussieht. Holzschnitzereien zum Abwinken. Aber auf zum royalen Pool. Das Wasser ist sehr veralgt und auch ein bißchen muffig, aber, was soll ich sagen, die beiden Wassereinlässe sind schon nicht ganz schlecht. Gut, ob ich eine goldene Kobra, von ein Meter Höhe, neben der Badewanne benötige, um diese zu füllen, sei mal dahin gestellt. Falls aber der geneigte Leser es auch nicht so mit den Giftschlangen des Orients hat, dem empfehle ich den goldenen Hitimanga, der im



unteren Bereich des Pools angebracht ist. Bei dem Durchlass des Rohrs, wäre meine Badewanne daheim zwar in 12,5 Sekunden voll, aber schmuck isser schon, der königliche Wasserhahn. Vielleicht etwas überdimensioniert für mein Bad, aber wer weiß. Abschrauben kommt natürlich auch hier nicht in Frage, denn noch mehr drahtige Gorkha-Krieger, mit ihren gebogenen Langmessern und jeweils einem Schnellfeuergewehr, stehen schon Schlange, im Falle, dass einer den Wasserhahn betätigen möchte. Wo ich jetzt gerade bei den Gorkha-Langmessern bin, muss ich ein Geständnis ablegen. Doch zunächst verlassen wir die Palastanlagen, hocken noch auf dem Durbar-Square rum und genießen die After Wedding-Party.




Also gut, in Anbetracht des Titels, wartet der geneigte Leser bestimmt auf Auflösung. Wir müssen täglich etwa 1,5 Kilometer vom Hotel zur Altstadt laufen und am frühen Abend natürlich den Weg zurück. So damit kommen wir durch ziemlich interessante Stadtviertel. Da ist bspw. der Blumenhändler mit seinen Hochzeitsautos, da ist auch ein richtiger Gartencenter, oder eine Cakery. Ist kein Druckfehler, draußen steht tatsächlich "Cakery" dran, an der Kuchenschmiede. Da gibts den Ziegenschlachter, der gestern, als wir gerade auf seiner Höhe waren, eine Ziege kurzerhand mit dem Hammer betäubte. Wie gesagt, machmal sind die Tatsachen den Lebens hier etwas gröber. Aber, vor der Schlachterei arbeitet ein Schmied. Auf so einem erbarmungswürdig dünnen Kissen, hockt der da auf dem Boden, vor seinem kleinen



Stahlamboss, einer Gasflasche und zwei Hämmern, die bei uns unter den Tatbestand gröbster Sicherheitsverstöße fallen würden. So, und der Kerl dengelt da nun Gartengeräte, die so ein bißchen wie ein Gorkha-Messer aussehen. Aber, ich würde natürlich niemals so ein Schlachtermesser kaufen, lächerlich, aber die Gartengeräte, die er produziert, mit sehr eindrucksvoller Technik übrigens, sehen sehr solide und auch brauchbar aus. Also habe ich mich entschlossen mal ein Gartengerät zu kaufen. Wenn man dieses Männchen sieht, wie der aus dem heißen Eisen Formen in das Metall treibt, das ist schon faszinierend. Außerdem ist der Laden weit weg, von den industriell gefertigten Touristenramsch, den man in Bhaktapurs Gassen überall bekommt, dass ich den Preis gerne bezahlt habe. Staatliche Zertifikate bescheinigen ihm eine Gorkha-Messerschmiede in dritter Generation und da ich immer gerne gutes Handwerk unterstütze, habe ich da bei den Gartengeräten mal zugeschlagen. Wir werden sehen, was am Flughafen passiert! Bonne nuit folks



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