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  • AutorenbildIngo

Die Stille der Berge . . .

28. März 2024 - Himalaya Region

KM 90.972


Der Berggrat, auf dem unser Hotel liegt, ist von schwerem, nassen Hochnebel umgeben. Es dringen kaum Geräusche durch die weißgrauen Wolken, die wie vollgesogene Watte über der Anlage liegen. Wir sind auf 1600 Meter Höhe und mein Rollkragenpullover ist kein Luxus. Die Luft riecht würzig feucht und unglaublich frisch dabei. Die dumpfen Klänge der Bergwelt erinnern mich, an meine Jungend, an die verregnete Sommer in Kärnten. Seltsam erstarrt, wirken die Planzen und Bäume im Nebel, wie schattige Klauen mystischer Fabelwesen des Hochgebirges. Die Feuchtigkeit drückt die Vegetation nieder, als würden sich nicht nur die großblättrigen Bananenstauden verneigen, sondern auch die Gräser und Moose, auf denen die Wassertropfen wie klare Perlen hängen.



Über Pokhara hängen tiefe Wolken, als wir die Bergziege bepacken. Die Hotelmitarbeitr sind sehr anhänglich und wir bekommen jeder noch einen Schal umgelegt, der uns eine glückliche und heile Weiterreise bescheren soll. In den vergangenen paar Tagen war Pokhara wie leer gefegt. Seit Holi, genauer gesagt. Vielleicht ist gerade Schichtwechsel im Trekkingparadies. Unsere heutige Etappe geht nur 20 Kilometer, nicht lang, dafür aber immer bergauf. Wir haben in einem Hotel zwei Nächte gebucht, das auf einem Berggrat dem Annapurna-Massiv genau gegenüberliegt. Leider hat sich die Wetterlage verschlechtert und bei der Abfahrt aus Pokhara



hängen die Wolken schon an den Gipfeln fest. Grob fahren wir in Richtung Baglung und weiter nach Beni, was aber nur gut 45 Kilometer weiter im Westen liegt. Vermutlich werden wir erst ab Ostern wieder etwas zu sehen bekommen. Unsere "Annapurna Reiseerlaubnis" ist griffbereit im "Sichtfach" des Tankrucksacks verpackt und die "Hotelschals" am Koffer der Bergziege befestigt. Wir verlassen die Hauptstraße, die nach Baglung und weiter nach Beni führt, wechseln auf die Sarangkot Road, die steil in die Wolken führt. Trotz der engen Kurven und starken Steigungen, läßt sich das Stäßchen gut fahren. Hin und wieder müssen wir durch einbetonierte Ablaufrinnen fahren, deren Größe uns daran erinnert, wie viel Wassermassen sich hier den Berg runter bewegen, wenn die Schneeschmelze oder der Monsoon einsetzt. Hier hat es seit 6



Monaten nicht mehr geregnet und daher ist den Menschen, die am Berg Landwirtschaft betreiben, jeder Tropfen willkommen. Wir fahren unterhalb des Sarangkot View Point durch das kleine Dorf Sarangkot, dessen touristische Nähe sich durch eine Handvoll "international" anmutender Restaurants erklärt. Doch danach tauchen nur noch kleine Siedlungen oder vereinzelt Häuser am Hang auf. Ab 1000 Meter Höher rauschen wir in die Wolken und man sieht buchstäblich kaum die Hand vor den Augen. Die drei Frontscheinwerfer der Bergziege tuen einen guten Dienst und alle, uns entgegenkommenden Überlandbusse(!), sind frühzeitig gewarnt, dass wir aus dem Nebel kommen. Linksseitig der Straße geht es steil den Hang hinab, was wir aber gar nicht sehen können, denn die Wolken lassen nur 10-20 Meter Sicht zu. Die Welt um uns herum scheint an Dynamik und Klang zu verlieren. Hunde schrecken auf, wenn wir vorbeifahren, klingt doch das Wummern der Bergziege gleichermaßen dumpf, wie auch das, sich anschließende, wütende Gebell, ob der gestörten Nachruhe mittig auf der Straße. Manch enge Kurve, hat schon fast einen 270 Grad Winkel und oftmals muss ich bis in den ersten Gang runterschalten, damit die Bergziege gut durch die Runde kommt. Inzwischen hat es angefangen zu regnen und es ist auch ziemlich kühl geworden, im Vergleich zum recht schwülen Wetter in Pokhara. Innerhalb der Siedlungen herrscht nur wenig Leben. Meist hat ein kleiner Laden geöffnet, wo es die Basics zum Überleben gibt. Wasser, Tee, Instantnudeln, Chips, SIM-Karten. Schnur, Regenschirme oder auch Gemüse oder Obst. Auf dem Berg scheint es eine Enklave Exiltibeter zu geben. Immer wieder tauchen buddhistische Gebetsfahnen im Nebel auf und an



den Häusern finden sich vielfach tibetische Elemente wieder, besonders an den Fenstern. Hier und da, lassen sich die Terrassen im Nebel erahnen, die stufenförmig bis tief in Fewa-Tal hinunter reichen. Auf dem Berggrat angekommen, schlängelt sich die Straße flach, mit nur leichter Steigung, zwischen den eng stehenden Häusern hindurch. Immer wieder tauchen schemenhaft menschliche Silhouetten auf, mit geflochtenen Körben auf dem Rücken, den sie mit einem, über die Stirn geführten Stoffband tragen. Meist ist Brennholz in den Körben auszumachen, was jedoch inzwischen ein ziemlich ernst zu nehmendes ökologisches Problem in Nepal darstellt. Man sollte sich, zumindest gehört das zum guten "Trekkington", im Vorfeld erkundigen, wie auf dem Trek, geheizt, gekocht, gewaschen und geduscht wird. Also, wie das Wasser dafür erhitzt wird. Denn die nepalesische Regierung hat überall Gas-Reservoirs in den Trekkinggebieten angelegt, die - natürlich gegen Bezahlung - von den Touranbietern eben für die notwendigen Wassererhitzung etc. genutzt werden sollen. Es gibt aber auch schwarze Schafe, so erzählt man in Pokhara, die aus "Sparsamkeitsgründen" - haha - würde behaupten der zutreffende Terminus heißt "Gewinnoptimierung", heimlich alles mit Holzfeuer erhitzen. Wie die Situation nun wirklich auf den Treks aussieht, können wir nicht beurteilen. Doch in Gesprächen mit etlichen Rückkehrern, kann man durchhören, dass viele Agenturen es mit den Vorschriften ziemlich lachs handhaben.



Dann taucht, mitten in einer losen Ansammlung Häuser, ein Wegweiser zu unserem "Resort" auf. Das einsehbare Stückchen Straße, welches zwischen zwei eng stehenden Häusern verschwindet, ist eine Steinpiste. Grobe, zackige Felsbruchsteine schauen halb aus der "Fahrbahn". So macht Anni den Scout und testet die Strecke. Binnen Sekunden ist ein Mann aus seinem Haus gestürzt und weist uns den Weg zum Hotel, was noch etliche Meter Höher im triefend nassem Nebel verborgen ist. Also springt die Bergziege hüpfend über das Stück Felspiste, bevor sie über eine breite Betontrasse zum "Parkplatz" des Hotels hinauf rollt. Die Wolken geben lediglich einen kurzen Blick auf die Hänge unterhalb des Hotels frei. Irgendwo, direkt gegenüber der Hotelterrasse, liegen die Achttausender in den Wolken. Leider können wir nichts sehen. Aber es ist, wie es ist. In der "Dininghall" ist niemand. Rufe laut "Hallo", aber hier ist niemand. Über dem Hausschrein hängt ein sehr großer Flatscreen, auf dem eine buddhistische Zeremonie zu sehen ist. Wie aus dem Nichts, steht plötzlich ein faltiger, kleiner Mann vor mir, legt die Hände zu einem Wai zusammen, sagt "Namaste" und verschwindet. Dann ist es wieder still in der Dininghall. Na ja, der Begriff Dininghall ist ein bißchen irreführend.




Die Decke besteht aus hochglanzlackiertem Holz, der Raum selbst, ist mit Tischen und gemütlich Sofas gefüllt. Über den Sofas liegen tibetanischen Teppiche und erzeugen so den Charme einer fernöstlichen "Skihütte". Doch ich mag diesen Ort sofort. Die kleinen Fenster sind am oberen Rahmen mit tibetanischen Flaggen behängt, ein großer Kamin verspricht gemütliche Abendatmosphäre und an den Wänden, stehen aufgereiht die üblichen Utensilien, die zur Verköstigung von Reisenden gebraucht werden. Kleine Butterlämpchen flattern im



Durchzug am Hausaltar, wobei nicht klar ist, ob der kleinen Buddhafigur oder dem Flatscreen gehuldigt wird. Ein junger Mann erscheint und ich bekomme den Schlüssel zu unserem Zimmer, was eigentlich eher ein großer Bungalow mit Blick auf den Annapurna ist. Polierter Holzfußboden, gemütliche Sessel, in denen man den Sonnenaufgang beobachten kann, Wandnischen für Gepäck und eine Teestation mit Wasserkocher. Alles urgemütlich und selbst, wenn wir keinen Berggipfel zu sehen bekommen, können wir hier mal so richtig entschleunigen.



Außerdem ist es still. Sehr still. Unsere letzte Nacht in Pokhara war von einer durchgehenden Partygeräuschkulisse geprägt. Es ist zwar toll gewesen, auf dem Dach zu wohnen, doch die Musikveranstaltungen schienen akustisch gesehen, direkt in unserem Zimmer dargeboten zu werden. Die Stille ist betörend. Man hört, erstaunlicherweise, Grillen und sonst nur das Geräusch der fallenden Regentropfen.



Trotz des typischen Zweibrettzimmers schlafe ich tief und fest, für bestimmt 12 Stunden. Die Nacht über gab es ziemlich viel Regen und das Konzert der zerplatzenden Regentropfen auf dem Dach unseres Bungalows, dürfte bestimmt für den Hochgebirgsschwanengesang gesorgt haben, der mich auf den fliegenden Teppich hinüber begleitet hat. Es ist windstill und immer noch verharrt die Natur in feuchter Stille, gleich einem Kormoran, der in der Morgensonne mit aus gebreiteten Flügeln sein nasses Gefieder trocknet. Große Wassertropfen liegen auf Blättern und zeichnen die, sonst eher unauffälligen, Spinnweben auffälligst nach. Beim



Frühstück treffen wir auf zwei Inder aus Chandighar. Die beiden kommen gerade aus Upper Mustang zurück und sind noch völlig von der Landschaft und Szenerie geflasht. Es wird eine lange Unterhaltung und am Ende kommt raus, dass die Beiden im Juni eine Off-Road-Tour durch Slowenien, Kroatien und Montenegro unternehmen. Unwillkürlich kehren unsere Gedanken wieder nach Indien zurück. Auch, wenn sich das jetzt krass anhört, wir sind beide froh gewesen, Indien zu verlassen. Ist so beiläufig in einem Gespräch, an unserem ersten Morgen in Nepal, rausgekommen. Wir haben beide gleichermaßen Indien als seltsam empfunden. Ganz anders, als noch vor 6 Jahren. Wir können aber nicht genau fassen, wieso. Wann immer das Thema auf Indien kommt, haben wir Schwierigkeiten, genau zu definieren, worin dieses Erleichterungsgefühl kommt. Irgendwie war Indien einfach anders. Natürlich hängt auch viel mit dieser Horrornachricht zusammen - über den Überfall/Vergewaltigung des spanischen Motorradfahrerpaares - die uns - etwa (zeitlich) mittig auf unserer Indienetappe - erreichte. Natürlich ist das irrational, doch nachdem uns sogar Inder warnend auf diesen Vorfall



angesprochen haben, war der Teil unserer Reise in Indien, irgendwie angespannt. Vielleicht ist das alles nur eine nichtssagende Momentaufnahme, doch an mancher Stelle hat die Distanzlosigkeit junger indischer Männer definitiv zugenommen. Wie schon mal in einer Depesche erwähnt, wissen wir nicht, wie sehr die Coronajahre und auch die Inflation sowie der Wertverfall der Rupie dazu beigetragen hat, dass sich sozial einfach viel verändert hat. Vielleicht können wir in ein paar Monaten den Finger genau darauf legen und definieren, warum Indien uns so wenig zugesagt hat. Dabei haben wir ja unendlich viel Schönes gesehen und erlebt, doch da ist etwas, was diese Reiseetappe getrübt hat. Aber, das kann eben passieren, wenn man so lange unterwegs ist, dann gibt es auch immer mal Phasen, wo nicht alles so überschwänglich glamorös ist. Kambodscha haben wir auch nicht in so positiver Erinnerung behalten, wie andere Länder, von unserer wahnsinnig schönen Woche in Angkor mal abgesehen.


Hier oben kann man so jetzt nix unternehmen. Das ist auch gut so. Nach dem Frühstück verbringen wir den restlichen Vormittag mit Lesen und in den dicken Nebel zu starren, der vor unserem Fenster vorbeizieht. Man ist gezwungen zu verharren, was ich sehr schätze, da kommt man zur Ruhe und kann vieles gedanklich loslassen. Das Hotel liegt wirklich einmalig. Hoch oben auf dem Bergrücken, umgeben von Bambus und einer kleinen Teeplantage - man


bekommt hier den hauseigenen Organic Tea zum Frühstück. Trotz des Nebels, unternehmen wir einen kleinen Spaziergang, damit wir nicht nur im Sessel hocken und chillen, sondern auch die Muskeln etwas beanspruchen. Hier oben passiert nicht viel, denn zum Einen wohnen hier nicht viele Menschen und zum Anderen sind die Tätigkeiten der Bergbewohner überwiegend landwirtschaftlich geprägt. Das kleine Dorf, das sich entlang der Bergstraße erstreckt, besteht



aus teils neuen Betonbauten und auch teils aus alten, traditionellen Steinhäusern. Die Stromanbindung ist 50/50, würde ich mal so sagen. Der Nebel hat das Dorf fest im Griff, alle Geräusche, die von Leben künden, hallen dumpf durch die schwere Feuchtigkeit zu uns herüber. Hundegebell, Rollerfahrer und auch Menschen, die vor ihrem Haus sitzen, nehmen wir erst im letzten Moment war. Überall gibt es ein leises "Namaste". Kinder sprechen uns an, wollen ihr




Schulenglisch erproben, während die Eltern "hilflos" daneben sitzen, dennoch mit stolzer Anteilnahme an der, für sie unverständlichen, Konversation, teilhaben. Alles ist durchweicht und da man auch fast nichts sehen kann, sind die Menschen zu Haus, davor oder darin. Überall liegt geschlagenes Holz, der Geruch von Holzfeuern hängt ebenso über der Siedlung, wie der schwere Nebel.




Auf dem Rückweg begegnen uns Frauen, die irgendwo am Berg Pflanzen geschlagen haben, wofür auch immer. Die Last ist bestimmt drei mal so groß, wie das alte Hutzelweibchen, das gemächlichen Schrittes an uns vorbei zieht. Sie geht so gebeugt, dass man ihr am liebsten die Last vom Rücken nehmen und fragen möchte, wo es denn hingehen soll. Sie geht auf Latschen, in ihrem schweren Wollgürtel steckt eine scharfe Monstersichel, mit der sie bestimmt auch




Schneeleoparden abwehren kann, die hier einst mal ihre Heimat hatten. Sie hat die langen Äste zusammengebunden und mit einem Stofftragegurt, der über den Kopf gelegt wird, trägt sie die Lasten den Berg rauf. Nur vom Hinsehen habe ich schon Phantomschmerzen im Nacken und Schulterbereich. Als sie, wenn auch langsam, doch stetig, an uns vorbeimaschiert, ziert ihr faltiges Gesicht ein leises Lächeln auf unser "Namaste" hin.

Nach einer guten Stunde, sind wir zurück zu heißem Tee und nepalesischen Crackern. Natürlich gibt es einen "warmen Lesesessel" und einen "kühlen" Lesesessel in unserer Kemenate. Was soll ich sagen? Wie wohl die Sesselverteilung ausgeht? Aber dann starre ich wieder gebannt in die weiße Nebelwand. Irgendwo darin verborgen sind atemberaubende Berge, von 6000 bis 8000 Meter Höhe und das, in völliger Stille. Bonne nuit folks!






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