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AutorenbildIngo

"Der Teil der Strasse ist besser . . ."

31. Januar 2024 - Von Muang Hiem nach Phonsavan

KM 17.865


Nach 12 Stunden Schlaf bin ich ziemlich munter. Nicht mal die eisige Kälte, die sich im Laufe der Nacht durch die offenen, nur von Fliegengittern geschützten Fenster geschlichen hat, habe ich irgendwie bemerkt. Komatös, sozusagen oder wie ein Bär im Winterschlaf. Bei Anni das Gegenteil, sie muss ziemlich gefroren haben. Heute morgen waren es nur 11 Grad im Hochland. Dazu kommt eine unangenehme Feuchtigkeit, die in alle Klamotten gekrochen ist, auch die Motorradhosen. Aber, von all dem, habe ich nichts mitbekommen. Hab den Wetterumschwung verschlafen, im wahrsten Sinne des Wortes. Die Wolken hängen tief über Muang Hiem, kein Berg ist zu sehen. Mit bombiger Laune gehe ich die Bergziege wecken und bepacke unser getreues



Lastentier. Das Guesthouse bietet kein Frühstück an und auch sonst ist unser Gastgeber eher überfragt, was ein stärkendes Morgenmahl angeht. Wir könnten es ja mal auf dem Markt probieren, ansonsten wüßte er auch nicht . . . Anni kommt ergebnislos vom Marktplatz zurück. Egal, wir werden schon was finden. Außerdem ist er der festen Überzeugung, dass der Teil der Straße nach Phonsavan viel besser ist. Aha, so so? Was wohl in seinen Augen besser ist, denn nach 300 Metern taucht schon das erste Stück Gräberpiste auf, innerstädtisch sozusagen. Aha! Was soll ich sagen?



     Während wir noch auf die Tanke zusteuern, fällt uns eine kleine Ansammlung von Restaurants auf, auf dessen großer Betonplatte zwei Minivans beladen werden. Hier scheint der offizielle "Busbahnhof" von Muang Hiem zu sein. Wir drehen eine Runde und versuchen die Bahnhofs-Sterneküche zu eruieren. Doch in jedem Fresstempel hängen die verschiedensten Gestalten rum, mit djeweils dem gleichen abwesenden Gesichtsausdruck sowie schweren Lidern und rotgeränderten Augen. Das ist scheinbar die Crew, die mit dem Nachtbus, ok Nachtminivan, aus Pakse, über Savannakhet und Phonsavan nach Nong Khiaw weiterfährt. Im Hinterkopf höre ich wieder unseren Hotelier, "der Teil der Straße ist besser!" Wir versuchen es



mit heißer Nudelsuppe, denn Anni ist immer noch durchgefroren. Ich habe ja den Luxus, beheizte Handgriffe im Cockpit zu haben . . . Außerdem erscheint Anni gerade die Sitzheizung der neuen BMW 1300 GS als ein durchaus annehmbares Accessoire. Doch die Suppe wärmt einigermaßen durch und die wollene Ortovoxjoppe tut sein Übriges dazu. Wir tanken schnell noch ein paar Liter der üblichen 91er "Katzenpisse" nach, denn an 95er ist nicht zu denken. Gab es tatsächlich nur in Pakse, Vientiane und Luang Prabang. Auf dem Land ist nicht dran zu denken, also muss es mit der "Katzenpisse" gehen. Hoffe nicht, dass uns die Bergziege die Freundschaft aufkündigt, bei dem Zeug, das wir da in sie reinschütten!

Hinter Muang Hiem geht es gleich bergauf, auf über 1000 Meter. Ziemlich steil und kurvig passieren wir frisch gerodete Berghänge auf denen noch immer die Asche der Rodungsfeuer glimmt und ziemlich qualmt. Einmal dem Feuergeruch entkommen strömt frische und auch sehr weiche, ja fast seidige Bergluft in unsere Helme. Wir sind noch nicht lange unterwegs, da bietet sich uns schon ein wahnsinniges Panorama. Wir sind fast oberhalb der Wolken



angekommen. In der Weite können wir sehen, dass über den meisten tiefer gelegenen Tälern noch dichte Wolkendecken liegen. In den folgenden Stunden durchfahren wir wieder mal eine faszinierende Berglandschaft. Und - die Straße ist tatsächlich besser. Anfangs traten noch ein paar Gräberpiste-verdächtige Off-road Abschnitte auf, doch innerhalb der ersten Stunden gibt es tatsächlich nur noch wenige Schlaglöcher. Das Fahren macht richtig Spaß und ich habe Zeit, die Bergwelten zu genießen. Nicht, dass man nicht mindestens ein Auge auf der Straße haben müsste, doch im Grunde ist die Fahrt recht entspannt. Nach der Plackerei von gestern, ein motorradtechnischer Hochgenuss, auch wenn die Etappe heute 205 Kilometer beträgt. Doch es läuft. Die Bewölkung ist heute loser als gestern und laut Wetterbericht, haben wir die Wolkengebiete jetzt hinter uns gelassen. In den Hochlagen bleibt es immer konstant bei 17 Grad, doch sobald wir in die Täler kommen, hat es ganz schnell auch mal wieder 25-30 Grad.





Der Verkehr ist kaum vorhanden, die Landstraße 1c gehört nicht zu den Routen von / nach Vietnam oder China. Heute begegnet uns lediglich ein Überlandbuss, 3 Minivans und sonst nur lokalbedingter Verkehr. Der Belag scheint ziemlich neu zu sein und in Verbindung mit dem wenigen Verkehr, erklärt sich sein guter Zustand von selbst. Die Dörfer des Hochlandes bieten heute einen ähnlich starren und bewegungslosen Eindruck. Seit gestern Abend versuchen wir immer wieder zu verstehen, wie hier das gesellschaftliche System funktioniert. Wir sehen zum Beispiel in jedem Dorf einen Haufen Kids im Schulalter rumlungern oder sich spielenderweise die Zeit vertreiben. Laut Internet gibt es eine Schulpflicht und die offizielle


Alphabetisierungsrate lag 2015 bei 85 % (90 % bei Männern, knapp 80 % bei Frauen). Das fällt schwer zu glauben, wenn wir sehen, wieviele Kinder nicht die Schule besuchen. In Laos herrscht der Schuluniformzwang. Daran kann man sehr deutlich sehen, wer zur Schule geht und wer nicht. In den Bergen brechen vorzeitig viele Kinder die Regelschule ab, um die Familie durch Arbeit zu unterstützen. Wir haben häufiger Menschen getroffen, bei denen wir vermuten, dass sie weder Lesen noch Schreiben können. Auch die Servicekräfte in den meisten Restaurants, können nicht richtig die Zeche berechnen. Sie kommen dann häufig mit einem



überdimensionierten Taschenrechner an, Model Konrad Zuse, und haben dann trotzdem immer noch den falschen Betrag errechnet. Im landwirtschaftlichen Sektor arbeiten mehr als 70% der Erwerbstätigen, doch der prozentuale Anteil dieses Sektors am BIP von Laos liegt bei 20%. Da ist es kein Wunder, dass es hier keinen richtigen Aufschwung geben kann. Der meiste Reis wird übrigens von den Bauern selbst konsumiert und kann daher nicht exportiert werden. Das Bruttoinlandsprodukt betrug 2021 umgerechnet 18,8 Mrd. US-Dollar. Wir fragen uns im Anblick dieser Dörfer immer, womit verdienen sie hier ihren Lebensunterhalt? Gestern Abend hat Anni gelesen, dass in den Bergen weitgehend immer noch Tauschgeschäfte die Alltagsnormalität sind und nicht Geldgeschäfte. 100.000 Kip Noten (4,46€) führen hier oben auch schon mal zu Wechselschwierigkeiten.



Auch wenn die Lebensumstände in den Bergdörfern unseren Vorstellung völlig diametral entgegengesetzt sind, scheint das Miteinander sehr harmonisch zu sein. Zumindest ist das der Eindruck, den wir haben. Auch, wenn dieser Eindruck nur in einem Wimpernschlag der Durchfahrt gewonnen wird. Trotz eines ziemlich starren tradierten Familiensystems und sozialen Rollenverständnisses, was besonders in den Städten ziemlich fest verhaftet ist, sind besonders im Hochland Männer, die sich das Baby in einem Tagebuch auf den Rücken gebunden haben, keine Seltenheit. Das ist uns als Erstes in etlichen Dörfern aufgefallen, dass dort offenkundig auch der Mann für die Aufzucht der kleinen Prinzessinnen und Prinzen mitverantwortlich ist. Das diese Eindrücke vielleicht nur Momentaufnahmen sind, ist uns



natürlich bewusst. Gegen Mittag haben wir sogar schon die ersten 100 Kilometer hinter uns gebracht. Doch tatsächlich ist die Fahrt wie im Flug vergangen, weil es einfach so viele faszinierende Dinge zu sehen gibt. Natürlich jagt eine spektakuläre Fernsicht die Nächste. Heute ist allerdings nicht nur der Straßenbelag rekordverdächtig, sondern auch die ökologischen Schäden. Im Verlaufe des Vormittags passieren wir ein gutes Dutzend Stellen, wo ganze Berghänge als Erdrutsche ins Tal abgegangen sind. Meistens sind die Straßenabschnitte geräumt und passierbar, doch die tief gefurchten Erosionslinien sprechen eine klare Sprache. Zwischen dem beiseite geschobenen Sediment, lassen sich keine Vegetationsreste des




Primärwaldes finden, sondern irgendwie nur die Überbleibsel von Nutzpflanzen. Zusätzlich kommt noch hinzu, dass diese massigen Entwaldungen in manchen bergigen Landesteilen zu einem Absinken der Grundwasserspiegel führte. Das muss eine katastrophale Wasserversorgung in den Bergregionen erzeugt haben. Selbst für uns Durchreisende ist erkennbar, dass die Gemeinden, die an einem Fluss liegen, bereits ihre Reisterrassen neu bepflanzt und geflutet haben. In den höheren Lagen liegen diese Flächen immer noch brach. In einem Dorf wurde eine ganze Batterie Kinder in einer Wasserschüssel gebadet, die den Dimensionen einer Tupperschüssel Maximilian 14L entspricht. Ob die Kinder hier dorfweit immer schon im gleichen Wasser gebadet wurden oder das die Folge von Wasserknappheitist, vermag ich natürlich nicht zu sagen. Doch, dass die hygienische Situation in den Bergen eher defizitär ist, kann man kaum übersehen . . .



Nach 150 Kilometern paradiesischer Bergpanoramen senkt sich die Straße ziemlich plötzlich und führt stetig bergab. Nach wenigen Serpentinen, taucht vor uns ein Hochplateau auf. Eingerahmt von Bergen, sind die vielfältigen Nutzflächen, wie Äcker, Gemüseanbau und Reisterrassen, schon weithin sichtbar. Auf diesem Plateau liegt Phonsavan, das aber noch 55 Kilometer entfernt ist. Kurz vor der Kreuzung von 1c und der Landstraße 7, rollen wir an einer Kaserne vorbei. An deren Eingang hängt ein riesiges Propagandaplakat. In seiner Grafik und Aussage erinnert es stilistisch sehr stark an die russische oder auch DDR-Propagnada, der 50er und 60er Jahre. Auch, wenn ich es nicht lesen kann, ahne ich schon die, immer wiedergekäuten




Parolen einer Ideologie, die hier den Menschen nicht unbedingt die Glückseligkeit gebracht hat. "Wir sind die Größten, die Tollsten, bla, bla, bla . . ." Immer wieder die alte Leier. Wenn ich dann die Soldaten in alten russischen Fahrzeugen sehe, die, wie fast alle Uniformträger in Laos, nicht einmal genug Geld zum Überleben verdienen, bin ich mir nicht sicher, ob das Land nicht der kollektive Verlierer einer Idee geworden ist, die sich nur schwerlich den Menschen zuwenden



kann. In angenehmer Wärme rollen wir jetzt auf einer relativ geraden Straße immer gen Westen, der Sonne entgegen. Die Bewölkung hat sich ziemlich aufgelöst und die Nachmittagssonne taucht alles in ein weiches Licht. Auf dem Plateau gibt es relativ viel Wasser und überall ziehen sich kleine Flussläufe durch die, von Reisanbau geprägte, Ebene. Die sanften Hügel verstärken unser Gefühl, über die Hochebene zu fliegen, denn hier kann ich mal in den 5. Gang schalten und die Bergziege entfesselt ihre 120 PS. Kurz vor 16 Uhr rollen wir durch das




Tor unseres Guesthouses in Phonsavan, wo wir einen Bungalow für drei Nächte gebucht haben. Morgen müssen wir uns zunächst einmal um unsere Indienproblematik kümmern. PT Air Cargo hat gemailt, dass der Abflug der Bergziege der 22. Februar sein wird. Das bedeutet, dass wir uns um Visa und Flüge für uns selbst kümmern müssen. Außerdem hat Herr Kleinknecht von der Fa. InTime-Reisen geantwortet und uns mitgeteilt, dass die Bergziege nicht nur aus Mumbai, sondern auch aus Kathmandu heimkommen kann. Daher müssen wir jetzt mal genauer hinschauen, ob wir überhaupt auf dem Landweg nach Nepal einreisen können, oder ob es da auch wieder so lustige Beschränkungen gibt. Es gibt viel zu tun: Bonne nuit folks!





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