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AutorenbildIngo

Der blinde Masseur . . .

16. November 2023 - Chiang Mai

KM 10584


Dann schlägt zum 8. Mal der Big Ben und ich bin erlöst. Tja, ob ich mich je wieder bewegen kann, ist fraglich. Mit leiser Stimme haucht Odjob "Finish" hin. Probehalber bewege ich einen Zeh, nur so sicherheitshalber, um sicher zu gehen, dass mein Bewegungsapparat noch einsatzfähig ist . . .

Wir sind in einem Massagestudio, in dem ausschließlich blinde Menschen massieren. Damit folgen wir tatsächlich einer Empfehlung unseres Reiseführers. Das Problem mit Massagen in Chiang Mai ist, dass es unendlich viele Massagesalon gibt und das Einschätzen der Qualität sehr schwierig ist. Hier gibt es nämlich alles, vom 6 Sterne Teakholz Spa, über das cannabisgestützte

Körperyoga bis hin zum Happy Ending Spa, wo die Damen aber eher in Separees arbeiten. Sprichwörtlich an jeder Ecke wird hier physisches Wohlbefinden angeboten und versprochen, schwerlich für den Kunden jedoch die passenden Maßnahmen für das jeweilige körperliche Wohlbefinden heraus zu filtern. Gestern Abend, erschöpft von unserer Watliste, sind wir kurzentschlossen in die Empfehlung rein und haben einen Termin für 2 Stunden traditionelle Thai Massage gemacht. Dieses Studio ist legendär, aber wer jetzt das dunkle Teakholz Studio mit säuseliger Thaimucke, flauschigen Handtüchern, Jasmintee und traditionell gewandete kleine Thaidamen erwartet, der wird enttäuscht sein. Dennoch wird dieses Studio empfohlen, weil die Masseurinnen und Masseure "mit ihren Händen sehen".

Heute Morgen um 10 Uhr stehen wir vor dem Studio, was in völliger Gänze die Verneinung jeglicher Fantasien vom sonst so üblichen Thai Spa ist. Schummriges Licht, hellblau gestrichene Wände, PVC-Sanitätsliegen, aufgereiht wie in einer Kaserne, mit einfachen Vorhängen dazwischen. Also recht Basic, trotzdem ist das Studio nahezu ausgebucht, was sicherlich seinen Grund hat. An den Wänden hängen von jedem Mitarbeiter Zertifikate. Was mich schon einmal beruhigt. Über die traditionelle Thai Massage wacht übrigens die Abteilung für die Entwicklung traditioneller und alternativer thailändischer Medizin des thailändischen Gesundheitsministeriums. Jawohl! Bis 2016 gab die Abteilung an, dass in Thailand landesweit 913 traditionelle Kliniken registriert seien. Und - von den 8.000 bis 10.000 Spa- und Massagegeschäften in Thailand sind 2018 nur 4.228 vom Department of Health Service Support (HSS) des Gesundheitsministeriums zertifiziert. Die umzertifizierten können also viel Teakholz und flauschige Handtücher haben, müssen aber nicht unbedingt verstehen, was sie da tun. Das ist bei den blinden Masseuren ganz anders. Übrigens hat die UNESCO hat die traditionelle Thai-Massage im Dezember 2019 in die Liste des Kulturerbes der Menschheit aufgenommen. So, da habt ihrs!

Pünktlich um 10 Uhr wird Anni auf die Liege gebeten und eine ältere Dame, deren bescheidener Habitus uns sofort unfassbar gerührt hat, beginnt ihr Werk. Dann fällt ein Schatten auf mich und mein Blick wandert hoch. War ja klar, meiner hat die Maße des koreanischen Chauffeurs von Gert Fröbe in Goldfinger. Odjob taufe ich ihn im Stillen, obwohl ich bei seinen ersten Handgriffen bereits schreien möchte. Die Thai-Massage ist eine traditionelle Therapie, die Akupressur, indische ayurvedische Prinzipien und unterstützte Yoga-Stellungen kombiniert. Soweit die Theorie, heute war erst einmal nur Akupressur. Odjob hat Hände, deren Dimensionen nur bedeuten können, dass seine Vorfahren Hufschmiede waren, die mit der bloßen Faust Nägel in die Hufe geschlagen haben. Dazu kommt, dass ich mir vor einer Woche den Hauptständer der Bergziege, natürlich mit hoher Geschwindigkeit, etwa 5 cm unterhalb der Kniescheibe auf Schienenbein hab schlagen lassen. Die Färbung ist zwar weg, was egal ist, sehen kann Odjob eh nichts. Erklären nützt auch nix, er spricht kein Englisch, sondern nur der Chef und der bearbeitet einen Franzosen. Hoffe sie haben einen Aufnehmer für meinen Angstschweiß. Warum konnte ich nicht einfach so eine zierliche kleine Thaidame kriegen, die mit kleinen Tabsefüßchen einfach auf meinem Rücken auf und ab läuft.


Die Stimmung ist irgendwie richtig witzig. Es beginnt damit, dass alle Masseure permanent SMS bekommen, die alle von einer digitalen Stimme laut vorgelesen werden. Klar, sie sind ja blind. Das führt dazu, dass in diesem Studio irgendwie nix privat ist. Erschallt so eine Nachricht, ist schlagartig Ruhe, damit auch alle Thais mitbekommen, was Sache ist. Daher kichert immer irgendwo irgendjemand. Dazu kommt, dass die dünnen Vorhänge natürlich keinen Schallschutz machen und daher auch weggelassen werden könnten. Einschlafen kann man eh nicht. Der Franzose ist ganz euphorisch und sagt immer "Yeeeessss!", wenn der Chef mit seinem Ellenbogen wohl die Muskulatur so gedehnt hat, dass der Kerl ein Stück länger geworden ist. Yeeeesss! Das muss der geneigte Leser sich jetzt mit schwerstem französischem Akzent vorstellen. Odjob hat inzwischen meinen Bluterguss auf dem Schienenbein in alle Himmelsrichtungen verakupressiert, dass ich eigentlich einen Boxsack benötige, um meine Bizepsverspannungen zu lösen. Die Praxis der Thai-Massage soll Jahrtausende alt sein, verstehe ich, fühle mich auch schrecklich alt auf einmal. Mein Fluchtinstinkt ist bis zum Zerreißen gespannt. Das scheint der kahlköpfige Chef geahnt zu haben, daher bekomme ich Odjob. Bei den Händen und dem Gewicht ist Reisausnehmen zwecklos. Erbarmungslos arbeitet er sich an dem

Akupressurpunkten von den Beinen zum Rumpf hinauf. Bei der traditionellen Thai-Massage werden weder Öle noch Lotionen verwendet. Ich bin auch während der Behandlung bekleidet. Anstatt an meinen Muskeln zu reiben, wird mein Körper zusammengedrückt, gezogen, gedehnt und geschaukelt. Folter, reine Folter, aber, immerhin zertifizierte Folter. Damit die blinden Masseure ein Zeitgefühl haben, schlägt alle 15 Minuten eine Uhr, leise, aber doch kolonial, die Melodie des Big Ben. Ok, zeitlich begrenzte, zertifizierte Folter. Wir haben eine vollständige Thai-

Massagesitzung gebucht, für zwei Stunden. Die ganze Folter beinhaltet rhythmisches Drücken und Strecken meines gesamten Körpers. Unter Ziehen meiner Finger und Zehen, den Ohren, das Knacken der Knöchel, unter Drücken der Muskelstränge mit seinen Viertelpfündern von Daumen und seinen Ellenbogen, deren Aufsatzpunkte an die Flächen nagelbeschlagener Arbeitsschuhabsätze erinnern, lockert er mich durch. Komme mir vor wie ein Kartenspiel, dass gewaltsam aufgefächert und zusammengeschoben wird. Dann ertönt Big Ben zum 8. Mal . . .

Anni hat für morgen gleich wieder zwei Plätze gebucht . . . Viel hilft viel, höre ich sie sagen.

Erstaunlicherweise kann ich aufrecht zur Bergziege gehen. Daran hatte ich streckenweise nicht mehr geglaubt. Zeit für einen Tee. Wir fahren also zum Raming Tea House. Uns erwartet ein mehrstöckiges, zum Niederknien schönes Kolonialgebäude, offen, luftig mit knarrenden Holzdielen und dem Hauch von Geschichte, dem man sich einfach nicht entziehen kann. In den Schuppen würde ich sofort einziehen. In der Mitte ist das Gebäude nach oben offen. Heute ist es mit Glas überdacht, aber man sich noch gut vorstellen, wie die überschattete Galerie in der ersten Etage vor 100 Jahren ausgesehen haben muss. Der Name Raming kommt vom früheren Namen des Flusses Mae Nam Ping. Der Ping fließt vom Berg Chiang Dao bis zu seiner Wasserscheide in Chiangmai. Raming Tea wurde wohl 1941 als eines der ersten

Teeunternehmen Thailands gegründet. Damals lebten ziemlich viele englischstämmige Menschen in der Region Chiang Mai, die sich wohl über einen gepflegten 5 Uhr Tee gefreut haben dürften. Ein gewisser Mr. Prasit Poomchusri, ach der, wollte also den Thais in Lan Na das Teetrinken beibringen, indem er den Tee im Schatten des Waldes kultivierte. Dadurch entsteht ein noch stärker antioxidativer Tee, habe ich heute in in der Menükarte gelesen. Raming Tea ist außerdem das erste Teeunternehmen in Thailand, das einen internationalen Standard erreicht


hat. Gut, dass war jetzt aus der hauseigenen Infomappe, kann ich nicht verifizieren. Wir bestellen einen Assam und einen Marsala Chai, die, zugegebenermaßen, ziemlich großartig sind. Allerdings ist das Teehaus derartig schön, besonders die offene Bauweise unterstreicht das tropische Flair mit seinen hölzernen Deckenventilatoren und den weit geöffneten, weiß lackierten Türen, die in einen tropischen Garten einladen. Es würde niemanden wundern, wenn jetzt drei Cockneys mit schlammigen Poloreitstiefeln, Tropenhelmen und bunten Sportshirts eintreten würden, um sich nach dem Spiel, zu Ehren seiner Majestät, gepflegt einen Assam zu


gönnen. Irgendwie bleiben wir dort hängen, zu Recht wie ich finde, schließlich habe ich eine, wenn auch zertifizierte, körperliche Misshandlung überlebt. Da wird man ja wohl anschließend zum 5 Uhr Tee bleiben dürfen! Jawohl. Zum Abschluss des Foltertages gehen wir auf den Markt, aber nicht den Tourimarkt, sondern schön auf den, für die Locals. Hier gibt es besonders viel Fisch, da der Ping River ziemlich gut gefüllt sein muss. Es gibt natürlich alles, was die Thaiküche so zu bieten hat. In der Gewürzabteilung ist nur ein Produkt vorrangig, jawohl, Chili. Leichte Reizung der Nasenschleimhäute inbegriffen. Aber mich kann heute nichts mehr schocken, auch keine Chilischoten und auch nicht, dass ich da morgen wieder hin muss. Bonne nur folks!



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1 Comment


Marc Luetjens
Marc Luetjens
Nov 17, 2023

KI erklärt für Thai Laien Massagen Anfänger:

Zertifizierte Thai Massagen sind Massagen, die von Therapeuten durchgeführt werden, die eine anerkannte Ausbildung in der traditionellen Thaimassage absolviert haben. Die traditionelle Thaimassage ist eine alte Heilkunst, die auf Druck- und Dehntechniken basiert, um die Energieflüsse im Körper zu harmonisieren. Die Thaimassage wird in Thailand als Teil der Gesundheitsvorsorge angesehen und hat viele positive Wirkungen auf Körper und Geist.

Um eine zertifizierte Thaimassage zu erhalten, sollte man darauf achten, dass der Therapeut ein Zertifikat oder Diplom einer offiziellen Schule vorweisen kann. Eine der bekanntesten Schulen ist die Watpo Thai Traditional Massage School in Bangkok1, die auch in Deutschland Zweigstellen hat. Andere Schulen sind zum Beispiel die Phetchaburi Skill Developement Department2 oder die Union…

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