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AutorenbildIngo

Das Nebelmeer . . .

21. Jabnuar 2024 - Von Vang Vieng nach Luang Prabang

KM 17.299


Ich schalte den Motor aus. Der schnittige, kalte Wind wird noch ein paar Minuten vom leisen Knacken des, beinahe überhitzten, Motors der Bergziege begleitet. Es ist richtig kalt, so kalt, dass ich erstmalig den Reisverschluß meiner Jacken bis oben hochziehe und die Ärmel winddicht verschließe. Selbst meine Handschuhe sind eher klamm, als dass sie wärmen. Wir stehen auf knapp 2100 Meter Höhe und schauen durch diesigen Nebel und tiefhängende graue Wolken, in die weit verzweigten sonnigenTäler. Wie eine silbrige Schnur schlängelt sich die Straße von der Talsole auf die Passhöhe, die die Einheimischen Sea of Mist nennen - das Nebelmeer . . .



Der Hotelier in Vang Vieng bat mich gestern, dass ich die Bergziege bitte um 07:00 Uhr aus der Lobby rollen könne, denn am Wochenenden hätten sie viele Gäste. Natürlich, wir waren ja ohnehin sehr erleichtert, dass wir die Bergziege nachts zum Schlafen in der Lobby parken durften. Nach etlichen Gesprächen mit anderen Touristen stellt sich heraus, das die Drogenproblematik wohl doch noch nicht so eingedämmt ist, wie man offiziell verkündet. Es gibt überall auf den Speisekarten den Zusatz "- mit Spezial", was dann bedeutet, dass einem schwarzer Afghane oder Mary Jane in die Pizza Calzone eingebacken wird. Da unser Hotel mitten im Backpacker Paradies von Vang Vieng



liegt, kann das des Nachts schon mal zu stressigen Situationen vor unserem Hotel führen und da wollten wir die Bergziege einfach nicht anbinden. Heute morgen beim Frühstück hatten wir schon einen bekifften älteren Chinesen, der mit seiner Rechnung nicht einverstanden war und richtig aggressiv laut wurde. Braucht kein Mensch. Als ich also um 7 Uhr, gefühlt vor dem ersten Hahnenschrei, die Treppe runterschleiche, ist vor dem Hotel die Hölle los. Samstagsmarkt! Bis an die doppelte Glastür unseres Hotels haben Landfrauen ihre "Marktstände" errichtet. Also, mehr so ein Deckchen auf den Boden, Gemüse drauf, Waage daneben, Handy als




Taschenrechner und los. Leider weiß ich nicht wohin mit unserer bulligen Bergziege, also wird einfach eine der Doppeltüren zugeparkt. Bei uns wäre schon Mord und Totschlag mit den Hotelangestellten los, doch hier geht das. Es stört keinen, eher das Gegenteil ist der Fall. Wir tragen mächtig zum Marktevent bei, denn jeder zweite Asiat bleibt vor der Bergziege stehen und zückt die Handykamera. Wir sind heute richtig früh dabei, erstens müssen wir auf die Landstraße 13, zumindestens bis Kasi und bekanntermaßen ist diese Straße eher eine verkehrstechnische Katastrophe, denn eine Landstraße und zweitens haben wir ein Kaffeedate




mit zwei Schweizer Kollegen. Als wir von unserer gestrigen Trekkingtour zurück zur Bergziege kamen, war da im Helm eine Nachricht, auf einem Stück Papier. Für den geneigten Leser, der nach Erfindung des Mobiltelefons geboren und sozialisiert wurde, das ist eine analoge SMS mit einem analogen Chat darauf! Handschriftlich!. Vor ein paar Tagen, als wir auf dem Thakhek-Loop in dem kleinen schnuckeligen Resort am Fluss - Stichwort die Blaue Lagune - einquartiert waren, haben wir ein Paar aus der Schweiz kennengelernt, die in der gleichen Profession unterwegs sind, wie wir. Sie haben auch eine Auszeit genommen, erst auf Sulawesi noch ein wenig gearbeitet und sind jetzt zum Abschluss in Asien unterwegs. Auf jeden Fall haben die beiden ihre Mobilnummer hinterlassen und wir trinken einen Kaffee mit den Schweizern. Ergebnis ist natürlich, dass wir versuchen werden, in Europa zumindest mal ein Treffen hinzubekommen. Aber schön wars!



Um kurz nach 9 Uhr umrunden wir den Kreisverkehr in Vang Vieng, der uns auf die 13 bringt, die nach Norden, nach Luang Prabang führt. Wir werden aber nicht die gesamte Strecke die 13 benutzen, da die Nebenstrecke, sage und schreibe 80 Kilometer kürzer ist. Außerdem ist die Straße in einem derart schlechten Zustand, dass ich gar nicht verstehe, wie Luang Prabang überhaupt versorgt wird. Vermutlich alles über den Flughafen. Überall in Vang Vieng sind die grauen Karstfelsen sichtbar. In der warmen Morgensonnen verlassen wir die Stadt und kommen noch recht zügig voran. Doch, da schon das Navi errechnet hat, dass wir für die 60 Kilometer bis Kasi, vermutlich 2,5 Stunden benötigen, machen ist uns über den Zustand der Straße keinerlei Illusionen. Hinter Vang Vieng durchfahren wir die weitläufige Talsole, entlang an



Reisfeldern und durch kleine Dörfer. Überall wurden Felder angelegt, auf denen jegliche Art von Gemüse wächst. Etliche Kuhherden zotteln in großen Verbänden an der Straße entlang und lassen sich, auch nicht mal vom größten, zehnachsigen LKW, aus der Ruhe bringen, trotz der massigen Staubwolken, die sich begleitend immer auftürmen. Die Felder reichen bis an die steilen Hänge des Karstgebirges, die scheinbar einfach aus dem Boden ragen.





Der Straßenbelag wird stetig schlechter, sodass wir für die ersten 20 Kilometer fast 2 Stunden benötigen. Permanent ist das Asphaltband gerissen, quer über die Straße verläuft dann ein 20 cm tiefer "Graben", sodass das Bremsen-Gasgeben-Ballet echt zum Geduldsspiel wird. An der ersten kurvigen Steigung ist der gesamte Asphalt den Berg runtergerutscht und zurückgeblieben sind, tief versandete LKW-Spurrillen. In einer Kurve, bergauf in tiefem Sand mit dem Gewicht - ein fahrtechnisches Träumchen. Runterschalten, Vollgas und auf keinen Fall Gas wegnehmen. Schlingernd kämpft sich die Bergziege durch die tiefe Spur bergauf. Gott sei Dank, ist das aber die einzige Stelle, die derart prekär ist. Außerdem hatten wir Glück, denn keine halbe Minute später, kommt einer dieser chinesischen Überlandtrucks, hoch aufgetürmt beladen, 10 Achsen und mit einer Staubfahne, dass jeglicher Saharasandsturm mehr so eine leichte Berieselung darstellt. Doch die Strecke ist anstrengend, da man einfach nicht richtig in Fahrt kommt. Trotz des miesen Straßenbelages ist die Landschaft einzigartig und wunderschön. So richtig habe ich nicht wirklich was davon mitbekommen, denn, wann immer man den Blick in die Ferne schweifen läßt, taucht unvermittelt ein Schlagloch auf und erinnert einen unsanft daran, "Ach ja - schau auf die Straße, schau einfach nur auf die Straße!"





Nach gut dreieinhalb Stunden erreichen wir Kasi. Unser französischer Paris-Dakar-Rallyefahrer hatte uns eine Nebenstrecke empfohlen, auf der Belag und Schlaglochsituation wesentlich besser sein soll. Daher biegen wir noch vor dem Ortseingang von Kasi auf die Landstraße 4c ab. Auf der 4c müssen sich in den 2016er Jahren noch etliche Schießereien und Überfälle auf durchkommende Fahrzeuge ereignet haben, zumindest laut unserem Reiseführer. Anhand der Dichte an LKWs läßt sich aber feststellen, dass das nicht mehr der Fall sein wird. Die Nebenstrecke, scheint jetzt auch für den Güterverkehr die Hauptstrecke geworden zu sein. Und tatsächlich - es läuft. Zwar taucht hin und wieder mal ein Schlagloch auf, doch wir können die Bergziege von der Leine lassen. Es macht richtig Spass durch die wunderschöne Hügellandschaft zu fahren. Viele sanfte Kurven, guter Belag, atemberaubend schöne



Bergwelten, hochsommerlich blauer Himmel mit weißen Schäfchenwolken. Großartig. Wir entspannen uns beide. Ich kann meinen Blick gefahrlos in die Ferne schweifen lassen und diese wunderschöne Fahrt in vollen Zügen genießen. Nach 20 Kilometern "wendet" sich die Straße langsam aber sicher auf das Ende eines Tals zu. Dort türmen sich mächtige Berge hoch und mir schwant, dass wir dort wohl über einen Pass müssen. An den Spitzen dieses mächtigen Höhenzuges hängen schwere graue Wolken. Parallel zur Straße taucht auf einmal eine, bestimmt 100-150 Meter breite Geröll- und Kiesbresche auf, die sich vom Berg, hinab zum Tal wälzt, parallel zur Straße. Es mutet wie eine gewaltige Gerölllawine an, die ins Tal abgegangen ist. Und richtig, hinter der nächsten Kurve fehlt der Belag auf mehreren 100 Metern.



Zurückgeblieben ist eine tief, aus Sand und Schotter bestehende Piste, die sich urplötzlich mit 12% Steigung aufwärts schlängelt. Die 12% kann ich genau definieren, denn das Schild "12% Steigung", ist stehen geblieben. Wieder Vollgas, erster Gang und gib ihm. Aus irgendeinem, mir nicht näher einleuchtendem Grund, hatte ich heute Morgen im Bordcomputer der Bergziege, das Fahrprogramm Hard Terrain eingestellt. Keine Ahnung warum, doch auf der Schotterpiste stabilisiert sich das, anfangs noch schlingernde Hinterrad, relativ schnell. Wir überstehen auch diese Episode heil und nun beginnt ein kilometerlanger Anstieg, bei dem die Bergziege heiß zu laufen droht. Immer wieder liegt in den steilen Serpentinen Sand, Split und Schotter, sodass ich das Tempo drosseln muss. Anfahren im ersten Gang, mit dem Gewicht und der Steigung - keine gute Kombination. Häufig kommt ein riesiger LKW den Berg



runter, sodass wir bremsen müssen oder aber vor uns schneckt ein solcher Koloss ebenfalls im ersten Gang den Berg rauf, dass nur noch Überholen geht oder dahinter bleiben. Überholen ist fast unmöglich, da die Staubwolken so dicht sind, dass ich nichts sehen kann, schon gar nicht ein entgegenkommendes Fahrzeug. Inzwischen zeigt der Wärmesensor des Motors einen 5. Balken an, 4 sind normal. Die Sonne ist verschwunden und es herrschen nahezu nebelartige Zustände. Es ist kalt geworden und auf meiner Sonnenbrille setzt sich Kondenswasser ab. Dann kommt der Supergau. Ich muss nur noch reagieren, konnte keine Helmkamera mehr anstellen oder sonst etwas. Eine Serpentine besteht nur noch aus zerfurchten, tiefen Sandspurrillen und mehrfach hat sich das Sediment mit einer 10cm hohen Kante gesetzt. Augen zu und durch. Ein LKW kommt uns entgegen, Gott sei Dank fährt er sehr bedacht, ganz rechts außen. Einer ist vor uns, doch noch mit knapp 50 Meter Vorsprung und außerdem ist er schon durch das Sandfeld



im Schritttempo durch. Im ersten Gang wühlt sich die Bergziege jaulend und hüpfend durch die Sandspuren, die mehr ein Sedimentfaltenwurf sind, als eine normale Sandpiste. Der 6. Balken taucht auf dem Display auf - noch einer und der Motor ist überhitzt! Meine einzige Angst ist aber, dass das Hinterrad in der linken Reifgenspur bleibt, während ich mit dem Vorderreifen in die rechte Reifenspur gerate. Dann ist ein Sturz unumgänglich, zumindest mit dem Gewicht. Doch es geht gut. Auch die Setzkanten meistert die Bergziege mit Bravour. Wir werden durchgeschüttelt und ich spüre, wie Annis Fingerspitzen ein Fingernageltattoo - durch den Handschuh hindurch - oberhalb meines Hosenbundes hinterlassen. Aber ich bin so stolz auf sie, dass sie völlige Ruhe bewahrt, trotz der Anspannung. Dann sind es nur noch wenige Kurven und



wir erreichen die Passhöhe auf 2097 Meter ü. N.N.. Dort stehen ein paar Pickups, es gibt eine Toilette, eine Raststation und ein Café. Die Passhöhe liegt im diesigen Nebel, die schweren, grauen Wolken ziehen tief über uns hinweg. Man kann die Täler nur undeutlich durch die nebelartige Kondensfeuchtigkeit erkennen. Die Laoten nennen den Pass Sea of Mist, was wir wirklich sehr treffend finden. Auch das Café heißt so und ich lasse es mir nicht nehmen an diesem poetisch veranlagten Ort, einen oyotr-Sticker zu hinterlassen. Der Wind ist kalt und die Nässe kriecht langsam in unsere Jacken. Keine Dreiviertestunde zuvor waren wir ja noch im Hochsommer und jetzt wäre eine isolierende Schicht ganz nett. Ich esse eine



Portion Reis und schütte eine Pepsi hinterher. Wer weiß schon, wie die Straße weiterhin aussieht. Nach 30 Minuten satteln wir die Bergziege, die sich wieder auf Normalniveau abgekühlt hat und hoffen dass die bleiernen Wolken jetzt kein Unwetter für uns bereit halten. Doch es geht von jetzt an, nur noch abwärts. Auf dem Weg ins Tal, muss ich immer wieder an das Bild von C. D. Friederich, Wanderer über dem Nebelmeer, denken. Auf diesem Pass gibt es bestimmt Tage, wo die Spitze in der Sonne liegt und die Wolken das Tal bedecken. Überhaupt ist die Bergwelt hier unglaublich betörend. Drei Serpentinen weiter und wir halten oberhalb eines




tiefgrünen Hochplateaus, das sanft zwischen den rauen Bergspitzen, unter dem bewölkten Himmel vor uns liegt. Die Straße ist der absolute Motorradwahnsinn. Fast ohne Schlaglöcher geht es in sanften Kurven, Steigungen und Abfahrten ins Tal, Richtung Muang Nan. Hier gibt es nur wenig Dörfer und auch der Verkehr hat sich sehr entzerrt. Es ist herrlich, mit jedem Meter, den wir tiefer kommen, wird es merklich wärmer. Auch wenn die meisten Gipfel bewaldet sind, ist die talgewandte Seite baum- und strauchfrei, sodass sich, während der Abfahrt nichts dem




Blick in den Weg stellt. Man kann weit schauen und da der Asphalt super neu ist, wird dieser Teil der Strecke zum absoluten Genuss. Die Dörfer, die wir durchfahren, liegen zum frühen Nachmittag hin, völlig verlassen da. An einer Stelle müssen wir einfach anhalten, denn dort hängt an einer Hauswand etwas, was ich vorher noch nie gesehen habe. Getrocknete Ratten. Jawohl! Doch mir will sich einfach nicht der Sinn erschließen. Nahrung? Dafür sind sie zu verkohlt. Abschreckung? Dafür sind sie zu weit oben aufgehängt. Deko? Naja, man muss schon mehrfach hinschauen, wenn man das identifizieren möchte. Trophäen? Was soll ich sagen, bei uns hängen sich ja Menschen auch Hirschgeweihe an die Wand. Seltsam. Ist mir so noch nicht untergekommen. Vielleicht leben die Menschen hier ja schon länger in ihrer Abgeschiedenheit. Da entwickeln sich ja vielleicht, in unseren Augen, fragwürdige Traditionen. Nun gut, gleich wenig schlau wie zuvor, cruisen wir downhill, wie man so schön in Motorradkreisen sagt. Der Rest ist schnell erzählt, wir treffen bald auf die Landstraße 4 nach Luang Prabang, dass wir bei orangerotem Abendlicht erreichen. Bonne nuit folks!



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