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Das Ende der Strasse . . .

25. April 2024 - Von Bhimeshwar nach Jiri

KM 21.899


Tatsächlich endet die geteerte Straße am Ende der kleinen Stadt Jiri. Wir erreichen am frühen Mittag das Tal, das hier schmunzelnd, die "nepalesische Schweiz" genannt wird. Ein kleiner Wendehammer, der gleichermaßen als Busparkplatz dient, zeichnet das Ende der öffentlichen Verkehrswege. Von hier aus führen lediglich Schotterpisten und Wanderwege weiter in die Berge und natürlich nach Lukla, was zwei Täler "weiter" liegt. Jiri liegt am nördlichen Ende eines sehr grünen Tals auf, ungefähr 2000 Meter Höhe über N.N.. Richtung Süden erstrecken sich landwirtschaftliche Nutzflächen durch die gesamte Talsohle. Natürlich liegt Dunst über den



Bergen, die sich 500 Meter hoch über Jiri erheben. Irgendwo hinter den Bergen, gut 80 Kilometer Luftlinie entfernt, liegt die Everest-Lothse Range. Sehen können wir die Berge nicht, der Dunst ist zu dicht um diese Jahreszeit. Eigentlich geht das nur von Dezember bis Januar, dann ist das Wetter sehr viel klarer und bietet die beste Weitsicht. Wir haben mit unserem Ritt nach Muktinath, extrem viel Glück gehabt. Im westlichen Teil von Nepal beginnt derzeit langsam die Regenzeit. Vor ein paar Tagen konnten wir auf dem Regenradar sehen, dass gerade richtige Unwetter über die nördliche Annapurna-Range niedergehen. Die ganzen Trekker, die sich derzeit auf dem Annapurna Circuit befinden, werden nur mäßig Spaß haben, soviel ist mal sicher. Daher halten wir unsere unglaublichen Erlebnisse auf dem Weg nach Mustang fest in unseren Herzen, denn die schneebedeckten Gipfel der Achttausender, die erodierte, wüstenähnliche Landschaft und die Tempel von Muktinath, haben diesen Teil unserer Reise sehr



geprägt. Übernachtet haben wir in Bhimeshwar im Hotel Prince & Lodge, was mehr so eine Absteige war, denn Bhimeshwar ist eine relativ große Durchgangsstadt. Wie hier üblich, liegt sie auf einem Berggrat, besteht aus einer Kreuzung, etlichen Geschäften, ein paar Hotels und Restaurants. Alles in allem eher so zum Durchfahren, denn zum Verweilen. Wir haben auch heute das seltsamste Frühstück unserer gesamten Reise bekommen: Drei ungetoastete Toastscheiben, mit je einem Viertel Omelett dazwischen, dazu halbgahre Pommes mit einem Töpfchen Honig und einem Glas warmen Wassers. Was soll ich sagen, zum Schmunzeln eben. Wir haben anschließend in Downtown Bhimeshwar erst einmal einen Kaffee getrunken, um den seltsamen Geschmack der halbgahren Pommes los zu werden. Dann haben wir die Bergziege auf die Bahn gebracht, um die letzten 55 Kilometer bis zum Ende der Asphaltstraße zu fahren.



1000 Höhenmeter geht es runter ins Tal. Die Straße ist die Beste, die wir in ganz Nepal bisher gefahren sind. Wirklich, kein Witz. Eine völlig unbeschädigte Fahrbahn, über die wir in gutem Tempo gen Tal rollen lassen können. Uns begegnen kaum Fahrzeuge, vielleicht einige Überlandbusse und ein paar lokale Mopedfahrer, aber sonst haben wir dieses schöne, wellige Asphaltband völlig für uns. Das Wetter ist großartig, 26 Grad warm, milder Wind und frische Luft rauscht durch unsere Helme. Die Hänge bestehen überwiegend aus Terrassen und bewaldeten Flächen. In tieferen Lagen sind es Laubbäume, ungemein große Bambuspflanzen und



Bananenstauden. Die Terrassen sind frisch mit Maissetzlingen bepflanzt oder schon ziemlich reifem Getreide. Es macht einen wahnsinnigen Spass, denn so ungehindert sind wir in den vergangenen 10 Monaten nicht über die Straßen geflogen. Gefühlt haben wir heute 1000 Kurven gefahren, denn die Straße schlängelt sich wie ein Band am Hang hinunter. Vielleicht kennt der geneigte Leser den "Krawattenknoten" auf Mallorca. Nur macht die Straße hier derartig viele 270 Grad-Kurven, dass der Krawattenknoten auf Malle, da wie lauwarmer Kamillentee daherkommt. In der Talsohle müssen wir über den Fluss. An der alten, Eisenstrebenbrücke gibt es ein paar Marktstände, deren Besitzer hochschrecken, als wir vorbeifahren. Das dies keine Touristenstrecke ist, merkt man vor allen Dingen daran, dass es kaum "Cafés" oder Restaurants entlang der Straße, oder zumindest an den neuralgischen Aussichtspunkten gibt. Der



Tamakoshi River kommt aus Tibet, fließt durch die nepalesische Provinz Dolakha und bringt türkises Eiswasser mit sich. Im Gegensatz zu etlichen anderen Flüssen, führt der Tamakoshi ziemlich viel Wasser, trotz der Trockenzeit. Auf der anderen Seite vom Fluss, geht es steil den Berg rauf. Tatsächlich muss ich in einen Gang runter schalten, mächtig Gas geben, ein Zittern geht durch das ganze Fahrwerk und die Bergziege entfesselt sehr entspannt ihre 120 Pferdchen. Im Stau bekommt die Maschine häufig ihre Kraft nicht an den Boden, doch heute ist es eine wahre Freude durch die Kurven zu ziehen und auch die steilsten Anstiege sind, trotz des


ganzen Gewichts überhaupt kein Problem. Natürlich fühlen nicht nur wir uns animiert, die leere Straße ausgiebig zu nutzen, sondern auch etliche Bauern. Aufgrund der Verkehrssituation, haben sie kurzerhand einfach mal das Stroh auf dem warmen Asphalt zum Trocknen ausgelegt. Doch trotz der fahrtechnischen Euphorie vergessen wir natürlich nicht, dass hinter jeder Kurve ein Schlagloch lauern kann, eine ganzer Fahrspur fehlen kann oder aber Frostbruch zum pulverisiertem Fahrbahnbelag geführt hat, der durch Flusskies und Sand notdürftig ausgebessert wurde. Das mit den fehlenden Fahrbahnstreifen hatten wir heute mehrfach.



Vermutlich haben einfach massivste Erdrutsche dazu geführt, dass die Gesteinsmassen Teile der Fahrbahn einfach mit in den Abgrund gedrückt haben. Anfangs haben wir immer noch ziemlich dümmlich und erstaunt reagiert, wenn man an so einem Schaden vorbeikam, doch inzwischen haben wir uns dann derartige Verkehrsereignisse gewöhnt. Die Folge ist, wenn das Schild "Vorsicht Steinschlag" auftaucht, nehmen wir das ernst, fahren langsamer und beobachten die Hänge, unter denen wir hindurchfahren. So manchen größeren Stein, der hier eine ganze Fahrspur blockiert, möchte ich definitiv nicht auf den Kopf bekommen.



Die höheren Lagen sind hier mit Kiefern bewaldet. Allein der vertraute Geruch von trockenen Kiefernnadeln erzeugt in uns derart heimatliche Gefühle, dass man glatt vergessen könnte, dass man sich im Großen Himalaya befindet. Aber diese frische Waldluft tut richtig gut, besonders nach den staubigen Straßen der vergangenen Monate. Es ist doch erstaunlich, wie wenig Reiz die Sinne eines Menschen benötigen, um eine ganze Batterie an emotionalen Reaktionen frei zu setzen. Auf den Straßenrändern liegen Tonnen von vertrockneten Kiefernnadeln. Neben dem heimischen oder zumindest südfranzösischen Sinneseindrücken



kommt hinzu, dass die Nadeln auf Asphalt einen höheren Glättegrad haben, als bspw. Zementpuder oder Sand. Häufig zwingt mich ein dicker brauner Kiefernnadelnwebteppich runter zu schalten und das Tempo zu drosseln, damit wir nicht durch die 270 Grad-Kurven schlingern, sondern noch sauber rollen können. Das Panorama ist atemberaubend und wenn der Dunst die Sicht nicht so beeinträchtigen würde, wären wir jetzt vermutlich immer noch nicht in Jiri angekommen, denn ich würde noch am ersten Berghang filmen und fotografieren.

Doch, auch mit Dunst ist die Landschaft wunderschön und die Schnittmenge aus Allem, macht die Etappe heute richtig klasse.





Die Täler sind grün und die Häuser meist aus Stein, Putz und hölzernen Gibeln. Daher sagt man zu dieser Region Nepals, "nepalesische Schweiz". Leider haben viele alte, traditionelle Bauten in dieser Region, das Erdbeben von 2015 nicht überstanden, sodass überwiegend neuere Betonbauten die Siedlungen und Dörfer dominieren. Hier und da stehen aber am Straßenrand noch wunderschöne Nepalibauten aus vergangenen Tagen. Wir erreichen Jiri recht früh und



sind dabei immer noch völlig erstaunt, dass es die beste Straße Nepals war. Vermutlich wäre sie längst genauso marode, wenn hier mehr Verkehr wäre. Also ein Hoch auf die Abgeschiedenheit von Jiri. Natürlich ist Jiri nur ein Dorf, zumindest, das, was man "Greater Jiri" nennen möchte. Überall im Tal sind Siedlungen an den steilen Hängen zu erkennen, daher nehmen wir mal an, dass Jiri größer ist, als die eine Straße, die wir langsam entlang rollen, auf der Suche nach



einem Hotel. Bei Booking gibt es direkt in Jiri so nichts, daher müssen wir es auf die traditionelle Art manchen und eine Unterkunft suchen. Doch es stehen etliche Etablissements an "der" Straße und so fragen wir uns durch. Im ersten Hotel ist niemand. Ein Ladenbesitzer versucht uns zu helfen und telefoniert. Er kann aber den Concierge nicht erreichen, zuckt mit den Schultern und sagt, nehmen sie halt das Nächste! Aha, so so. OK, machen wir. Bei der nächsten Herberge ist auch jemand vor Ort und wir bekommen die Rooftop-Suite. Es ist einfach,



aber sauber und das Bett ist super bequem. Wenn der geneigte Leser beschließt nach Nepal zu reisen, dann solle er sich darauf vorbereiten, dass es nur zwei Bettkategorien gibt - Bretthart und Soft! Bei ersterer Kategorie hat man morgens das Gefühl, dass die Wirbelsäule durch eine Eisenstange ersetzt wurde, nebst ihrer, nur wenig zu Flexibilität neigenden starren Eigenschaft. Beim Modus Soft ist es eher so, als würde man im Sitzen schlafen. Beides kann sehr anstrengend sein, wenn man eine Tagesfahrt mit dem Moped auf dem Pokhara-Kathmandu-Highway machen muss . . . Aber hier, am Ende der Straße, haben wir ein ultrabequemes Bett



bekommen! In Jiri ist man ganz gemütlich, wie wir so auf unserem ersten kleinen Rundgang feststellen. Es gibt einen kleinen Markt am Wendehammer, ein paar alte Gassen, die gepflastert sind, einen Hinduschrein, natürlich rosa gestrichen und eine ziemlich große buddhistische Stupa. Einige alte Holzbauten existieren auch noch, doch überwiegend hat sich der "moderne"






nepalesische Beton- und Fliesenschick etabliert. Doch uns gefällt es hier. In dieser Ruhe und Abgeschiedenheit bleiben wir zwei Nächte. Was soll ich sagen? Erst die großartige Asphaltstraße, dann ein bequemes Bett und eine gemütlich Stadt? Haben wir verdient!. Bonne nuit folks!





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