top of page
  • AutorenbildIngo

Auf zum Ganges . . .

11. März 2024 - Von Khajuraho nach Allahabad

KM 20.298


Die Straße vor dem Dorf gabelt sich, links geht eine breite Piste ab - offenkundig eine Baustelle, rechts geht es ins Dorf. Ich entscheide mich dazu, rechts zu fahren. Dann sind wir im Mittelalter. Aber so richtig. Kein Strom, lehmverputzte, niedrige Häuser, mit alten rotverblichenen Schindeln belegt. Hätten wir die breite Piste genommen, wäre uns dieses Kleinod auf dem Lande, glatt durch die Lappen gegangen. Die schmale Dorfstraße ist lang gezogen, die Wände der verwinkelt stehenden Häuser sind weiß gekälkt und der Lehmuntergrund beim Auftragen mit Wasser und viel Handarbeit geglättet. Fenster und Türen sitzen in asymmetrischen Öffnungen. Flache rote Dachschindeln liegen kreuz und quer auf dem Dachstuhl, vermutlich beschweren sie eh nur eine wasserdichte Plane. Das Dorf sieht genau so aus, wie ich es von Abbildungen aus m einem 30 zurückliegenden Erdkundeunterricht her kenne. Das Dorf ist total gepflegt, die schmalen Straßen sind sauber gefegt, kein Müll oder Unrat stört diese malerische Ansicht . . .



Um 8 Uhr liegt Khajuraho bereits hinter uns und wir sind auf dem Weg nach Allahabad, was knapp 300 Kilometer weiter im Osten liegt, je nachdem, welche Strecke man nimmt. Obenrum - auf der einsamen Landstraße - also nordwärts - sind es 270 Kilometer, untenrum, südöstlich, sind 310 Kilometer. Wir entscheiden uns für die Überlandstrecke, da erfahrungsgemäß die Schnellstraßen ziemlich voll sein können. Die Gasse, in der unser Hotel liegt, ist der frühen Morgenstunde geschuldet, noch im Tiefschlaf. Irgendjemand hat aber schon gefegt und den Haufen Plastikmüll in Brand gesetzt, damit es hübsch ordentlich ist. Das ist hier immer noch Usus. Genau wie in Indonesien. Zwar taucht es die Gasse in wunderschön morgendliches Streulicht, doch über den bestialischen Gestank wollen wir nicht reden. Ein Ochse steht fast im den Feuer, vermute mal es hält die lästigen Fliegen und Monstermücken fern, die in Khajuraho




verstärkt auftreten. Wir  trinken schnell noch einen Tee und los, back on the road. Khajuraho schläft noch, so viel ist mal sicher! In den engen Gassen ballert der Sound der Maschine die Wände hoch, dass ich tatsächlich ein bißchen schlechtes Gewissen hab. Aber, nur ein bißchen, zumindest, wenn ich daran denke, dass hier jeder ungeniert zu jeder Tages- und Nachtzeit voll am Gashahn zieht und niemals, bestätige: n-i-e-m-a-l-s, den Daumen von der Hupe nimmt. Besonders gern wird lautstark an den Stellen gehupt, wo extra ein riesiges Schild steht, "Don´t use horn". So vor Krankenhäusern oder heiligen Stätten eben. Und überhaupt, wer sagt denn, dass es Verkehrsidioten nur bei uns gibt?



Wir brauchen nur ein paar Minuten, um das offene Land zu erreichen, wie gesagt, Khajuraho ist ein Kaff. Dann beginnt das, was ich im Stillen immer eine richtige Motorradtour nenne. Eine Straße, die durch schöne Landschaften führt, ohne Verkehr, mal schnurgerade, mal ewtas kurvig und in den Dörfern erwacht der Alltag gerade zum Leben. Inzwischen sind wir im Bundesstaat Uttar Pradesh angekommen, dessen Landesgrenze nicht weit von Khajuraho verläuft. Uttar Pradesh, was wörtlich übersetzt „Nordprovinz“ bedeutet, ist mit über 241 Millionen Einwohnern, der bevölkerungsreichste Bundesstaat Indiens. Davon sehen wir heute morgen so rein gar nichts, denn unser Weg führt uns durch ziemlich einsame Regionen.




Rechts und links der Straße wird intensiver Getreideanbau betrieben und die Felder leuchten saftig grün, was für unser Auge nach den erdfarbenen Trockengebieten Rajasthans eine Wohltat ist. Praktisch sind wir allein unterwegs, die Bergziege läuft so bei 70-80 Stundenkilometern, nahezu immer Richtung Nordosten, also immer halbwegs der Sonne entgegen. Der Straßenbelag besteht aus einzelnen Betonplatten, sodass alle 10 Meter eine Dehnfuge auftritt. Jetzt würden alle Motorradpraktiker sagen, bei höherer Geschwindigkeit merkt man es nicht so - richtig, wenn alle Platten nach bundesdeutscher Norm planeben verlegt worden wären. Sind sie aber nicht und so bietet sich mehr das Cruisetempo an, um rechtzeitig die hoch- oder



tiefstehenden Kanten zu sehen. Dennoch ist es eine traumhafter Morgen, mit tollem Licht und schönen Farben. Hier und da stehen kleine Schreine in den Siedlungen, aber in keinester Weise so flächendeckend, wie es in Südostasien der Fall ist. Mit zunehmender Tageszeit beginnen die Bauern und Viehzüchter ihr Tagwerk und so knattern etliche, schwerst ramponierte Traktoren in die Botanik und die Vieherden werden zu den Wasserstellen getrieben. Abgesehen davon, sind



wir allein unterwegs. Die Landschaft ist flach, doch ändert sich die Vegetation ziemlich häufig. In der einen Sekunden scheinen wir uns im kenianischen Hochland zu befinden, denn die Seiten der Straße sind gesäumt von Akazien und Dornbüschen. Keine 20 Kilometer weiter, stehen Palmen den Straßenrand. Seltsamerweise sehen wir auch hier und da einige kleine Berge, die jedoch, wie aus dem Nichts auftauchen und irgendwie solitärhaft in der Gegend rumstehen.




Besonders spannend ist einer dieser Berge, die aus geschichteten Findlingen zu bestehen scheint. Der passt so gar nicht hierher. Er scheint übrigens Lebensraum für etliche Adler zu sein, die in der Morgensonne, nicht weit von ihren Horsten, am Himmel kreisen. Gegen den blauen Morgenhimmel zeichnen sich die Silhouetten dieser großen Greifvögel sehr schafkantig ab. Sie lassen sich gut beobachten, während ihres gemächlichen Gleitfluges in der


Morgenthermik. Übrigens werden in Indien häufig Natursteine mit Werbung bemalt. Je nach Grad der Verwitterung, macht das schon eine schöne Atmosphäre. Ich mag diesen Brauch, weil es vielmehr Können verlangt, als lediglich irgendwo ein Plakat anzukleben. Was genau da auf dem großen Felsen steht, weiß ich nicht. Vermutlich ist es die Werbung eines Mobilfunkanbieters, denn diese Lotosblüte, das Rotgrün im Hintergrund, sieht man hier in jedem Dorf. Außer Abuja-Cement, haben wir keine gemalte Werbung derart häufig gesehen. Wer weiß, vielleicht ist es ja auch nur eine Anzeige von Triumpf-Motorcycles.



Mit zunehmender Tageszeit erwacht Uttar Pradesh und der Verkehr nimmt zu. Wir wollen heute nach Allahabad, was am Zusammenfluss von Yamuna und Ganges liegt. Außerdem ist das der Ort, wo alle 12 Jahre das riesige Kumbh Mela Fest stattfindet und Millionen von Pilger auf das große Festgelände an der Flussmündung des Yamuna strömen. Das letzte Kumpf Mela war übrigens die größte religiöse Menschenversammlung weltweit. Dabei sind geschätzte 100 Millionen (!) Pilger in Allahabad gewesen. Das war im Januar diesen Jahres und, Gott sei Dank, waren wir nicht dabei. Jedes Jahr sterben etliche Menschen in den Massen, an Atemnot, bei einer Panikattacke oder ertrinken in den Massenwaschungen der Flussmündung.



Bevor wir jedoch Menschenmassen zu Gesicht bekommen, passieren wir kleine, tatsächlich malerische Dörfer, mit traditionellen Lehmhäusern. Natürlich werden wir groß bestaunt, doch die Barriere zwischen dem hiesigen Leben und unserem Kontext, scheint jede Kommunikation zu verhindern. Normalerweise hilft ein Lächeln, eine kleine Verbeugung oder ein Wai und die Menschen öffnen sich. Doch hier starren uns alle nur aus riesigen dunkelbraunen Augen an und sind irgendwie erstarrt. Die Dorfstraße ist ohnehin zu eng für Autos. daher hat man eine




Umgehungspiste angelegt, die irgendwann einmal bestimmt geteert wird. Dann wird es mit der Beschaulichkeit bestimmt vorbei sein. Hier ist das Zentrum des Dorfes nicht der Schrein, der ein wenig abseits steht, sondern der Brunnen. Von dort kommen uns junge Frauen, in farbenfrohen Saris entgegen, die Wasser in Kanistern auf dem Kopf balancieren. Möchte mal einen von uns sehen, wenn er morgens erst einmal zum Brunnen müßte, um dann 20 Liter Wasser auf dem Kopf zurück zu balancieren. Hier auf dem Land benutzen die Frauen den langen Schnapp vom Sari, um auch das Gesicht vollständig zu bedecken. Nicht aus religiösen Gründen, sondern einfach gegen Sonne und den allgegenwärtigen Staub.



So schnell wir im Dorf waren, so schnell sind wir wieder raus und auf einer unbefestigten Piste, die sich etwa 10 Kilomter lang durch das Flachland erstreckt. Zwischendurch überqueren wir den Yamuna, der ebenfalls ziemlich wenig Wasser führt, wie alle Flüsse Indiens, die wir bisher


überquert haben. Leider müssen wir die geruhsamen Landstraßen verlassen und in der nächsten Kleinstadt, geht es auf eine hektische Schnellstraße nach Osten. Große, bunt bemalte LKWs gesellen sich hinzu und nun herrscht eher dichtere Verkehr, der meine erhöhte


Aufmerksamkeit bedarf. Auch die wunderlich bepackten Fahrzeuge und Fortbewegungsmittel nehmen zu. Das alte Piaggio Tuktuk ist inzwischen nicht mehr der Platzshirsch unter den Personenbeförderungsmitteln. Inzwischen gibt es eine riesige Anzahl kleinerer und schmalerer Elektrokutschen, die den Vorteil haben, dass sie nahezu in jede indische Gasse passen und auch durch eine Verkehrslücke fahren können, durch die normalerweise nur ein Roller passen würde. Das Gefährt ist so schmal, dass zwei Europäer so gerade mal nebeneinander Platz finden. Da sich aber oftmals bis zu 9 Inder dort reinquetschen machen die Fahrzeuge im



Straßenverkehr manchmal den Eindruck, einer zu engen Jeans, wo die Pommeshüfte über den Hosenbund quillt. Die schmalhüftigen Dimensionen des Gefährts halten den Inder als solchen natürlich nicht davon ab, die Elektrokarre hemmungslos zu überladen. So sieht man gefährlich schwankende Silhouetten durch das Verkehrschaos schwanken, dass man gerne schnell überholt, um aus dem Umkippradius zu entkommen. Schließlich haben wir live in Thailand erlebt, was passiert, wenn ein zu hoch beladenes Gefährt seitlich umkippt. Die Haupt-



straße ist zwar voll, aber auch gut ausgebaut, sodass wir zügig vorankommen. Nach Möglichkeit wollen wir vor der indischen Rushhour in Allhabad ankommen, damit wir nicht im Verkehr stecken bleiben. Die Bergziege mag nämlich nicht gerne in der Affenhitze, mit lange laufendem Motor, vor sich hinbrummen. Ein bißchen mutet dieser Teil unserer Etappe an, wie die Deutsche Alleenstraße. Massive Bäume, mit breiten und schweren Kronen, beschatten die gut asphaltierte Fahrbahn. Immer wieder tauchen am Straßenrand die traditionellen Lehmhäuser auf, doch nur noch vereinzelt und bei Weitem nicht in dem guten Zustand, wie auf den Dörfern. Abuja-Cement scheint Einzug gehalten, und die alte Lehmbauweise verdrängt zu haben.



Je näher wir uns Allahabad nähern, umso dichter wird der Verkehr, logisch. Es wird unübersichtlich und ich muss mich höllisch konzentrieren. Um ein Haar wäre ich in ein Lastenfahrrad gerauscht, das zwei 5 Meter lange (!) H-Stahlträger im dichtesten Verkehr transportiert. Diese uralten Fahrräder haben keine Bremse, sondern nur einen Rücktritt. Das ausgemergelte Männchen darauf, wirft sich mit seinen ganzen 54 Kilogramm auf den Rücktritt und ich auf das gute BMW ABS und nur Millimeter vor der Kunststofffront der Bergziege, kommt der H-Träger zum Stehen. Das Männchen schreit Zeter und Mordio, zu Recht, ich war viel zu sehr auf seiner Seite. Vermutlich hatte er einfach höllische Angst, dass er etwas bezahlen muss, was er offensichtlich natürlich nicht kann. Aber alles wird gut - nix passiert. Hier ist alles unterwegs: Fußgänger,



Kühe, Hunde, Roller, Motorräder, Elektro- und Verbrennertuktuks, LKWs, Busse, Überlandbusse, und eine, bei uns ausgestorbene Spezies - der Mann mit dem Handkarren. Der geneigte Leser muss sich das jetzt so vorstellen. Das gesamte Wagenrennen brettert auf das Ende einer Straße, Kurve oder Stau zu. Dabei sind natürlich Fußgänger, Handkarren und Fahrradrickschas die schwächsten und vor allen Dingen auch langsamsten Vertreter. Damit wird der Verkehr schonmal speedmäßig unterreguliert. Da die aber alle kreuz und quer über alle Spuren wechseln, entstehen Lücken, in die sich permanent Rollerfahrer drängen, egal, ob



es sie vorwärtsbringt oder nicht! Quintessenz: Der Inder als Solcher erträgt keine Lücken im Verkehr. Findet der Rollerfahrer geine geignete Lücke, um 47cm weiter voran zu kommen, wir auf die Gegenfahrbahn ausgewichen. Damit kommt der Verkehr in alle Richtung zum Stillstand. Besonders spannend ist es, wenn jetzt noch zwei Straßen von rechts und links dazumünden. Dann ist das Chaos perfekt und nichts geht mehr!. 5 Meter vor so einer Kreuzung stecken wir fest und die Bergziege signalisiert, durch 6 Hitzebalken auf dem Display - Mir ist heiß!!! Da eh nix geht, fahren wir links raus und parken vor einem Reisverkäufer, der sich richtig freut, dass



wir vor seiner Nase parken. Sein Laden gewinnt innerhalb von Minuten an Berühmtheit und er möchte gerne gefilmt und fotografiert werden. Wir bekommen einen Platz angeboten, doch das Spiel auf der Kreuzung ist zu spannend. Inzwischen sind wir im Stadium der Verkehrsregelung durch den Laien angekommen. Überall brüllen Männer andere Männer an, wild gestikulierend, was aber nichts hilft, denn wenn einer Folge geleistet hat, stürzt sich wieder ein Rollerfahrer in die Lücke, die eigentlich der Gegenverkehr, zum stückweisen Abfließen benötigen würde. Es ist herrlich. Dann kommt ein smarter Vertreter der Ordnungsmacht, angetan mit amtlicher



Maschinenpistole und beginnt den indisch-gordischen Knoten zu lösen. Es dauert gut eine Stunde, bis der Verkehrspolizist es schafft den Rollerfahrern klar zu machen, dass Platz zum Abfließen des Verkehrs notwendig ist und nicht gleichermaßen die Aufforderung enthält, die nächste Lücke in Besitz zu nehmen. Wie gesagt, es ist herrlich, ein zünftiges orientalisches Chaos. Keine Frage, hier wird einem was geboten. Bonne nuit folks!





36 Ansichten

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen

Enge Gassen . . .

bottom of page