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1000 Höhenmeter . . .

24. April 2024 - Von Nagarkot nach Bhimeshwar

KM 21.843


Als wir um die Kurve kommen steht da plötzlich eine Batterie von ziemlich alten und auch verwitterten Stupas. Natürlich halten wir an. Direkt neben der Straße, entlang eines ausgetretenen Weges, reihen sich größere und kleinere buddhistische Schreine in einer Linie aneinander. Konstruiert und geschichtet aus alten Ziegelsteinen, teils verwittert, teils mit Flechten überzogen. die obligatorischen, fünffarbigen Gebetsfahnen, flattern im Wind und erzeugen dabei immer leichte Knallgeräusche. Etliche Häuser im Dorf sind noch traditionell aus Holz und Putz, obwohl hier der Beton auch schon Einzug gehalten hat, auch, wenn wir uns weitab jeglicher Touristenpfade bewegen . . .



In der Frühe verlassen wir Nagarkot und unser Etappenziel heißt Bhimeshwar, was auf dem Weg nach Jiri liegt. Die Etappe beträgt gut 120 Kilometer, zumindest nach Kartenangaben. In den vergangenen Wochen haben wir festgestellt, dass die Kilometerangaben auf den Landkarten nicht immer so ganz stimmen. Jiri ist sozusagen der Straßenendpunkt in der Everest-Region. Irgendwie ist das seltsam, finden wir, dass es da nicht weitergeht. Von daheim ist man ja gewohnt, dass es immer irgendwie eine Straße oder andere wegetechnische Möglichkeiten zur Weiterfahrt gibt. Hier nicht. Wenn man sich mal so die Straßenkarte von Nepal anschaut, dann enden ziemlich viele Straßen im totalen Nirgendwo. Das Dorf Jiri ist so ein Ort. Auf 2000 Meter gelegen, führt dort eine "breite" gelbe Straße hin, zumindest auf unserer Landkarte. Ob sie dem entspricht, werden wir morgen sehen, denn wir fahren heute nur bis



Bhimeshwar. Der Morgen wird erneut von einem unvergleichlichen Sonnenaufgang und seinem rotorangen Farbspiel eingeleitet. Trotz dieses unvergleichlichen Naturschauspiels, kommt keine Klarheit an den Himmel. Es bleibt dunstig. Wir haben gestern Nachmittag mal eine kleine Wanderung um die Bergspitze von Nagarkot gemacht, in der Hoffnung, vielleicht doch einen



Blick auf den Everest und den Lohtse werfen zu können, doch weit gefehlt. Die Aussicht in die nördlichen Täler ist zwar großartig, aber Dunst bleibt Dunst. Immerhin ist die Terassenlandschaft in diesem Teil Nepals sehr eindrucksvoll ausgeprägt. Wir wandern auf dem Scenic-View-Trail, der wirklich nett zu laufen ist und sind am frühen Abend wieder im Hotel zum Packen. Inzwischen hat sich unsere weitere Reiseplanung, aus vielen möglichen Plänen, herauskristallisiert. Zunächst geht es nach Jiri, aus zweierlei Gründen. Zum Einen besteht die



Chance, wenn wir näher dran sind, doch vielleicht den Everest und den Lohtse zu sehen und zum Zweiten, ist die Straße nach Jiri, auf unserer Landkarte grün unterlegt. Das bedeutet, dass sie landschaftlich sehr schön sein muss. Da wir keinen Zeitdruck haben, brechen wir also heute ins Everest-Gebiet auf. Zurück werden wir noch das Städtchen Panauti besuchen, was diverse


Erdbeben recht gut überstanden haben soll und daher einen ebenso gemütlichen Stadtkern besitzt, wie Bhaktapur oder Bandipur. Von da aus geht es nach Kathmandu, wo wir versuchen werden, einen Abstecher nach Tibet zu organisieren. Dazu benötigen wir ein Visum für die Sonderzone Tibet, außerdem ein sogenanntes Tibet Travel Permit und natürlich einen Flug. Falls



das funktioniert, werden wir eine Woche in Lhasa und Umgebung verbringen. Vorher geben wir die Bergziege bei der Transport-Spedition ab und sie wird auf den Heimweg geschickt. Die letzten Tage vor dem Abflug nach Deutschland, verbringen wir in Bodnath, wo sich die größte buddhistische Stupa der Welt befindet. Eigentlich war Bodnath mal ein kleines Pilgerdorf, doch Kathimandu ist in den vergangenen Jahrzehnten so gewachsen, dass Bodnath inzwischen fast eingemeindet werden könnte. So ist der Planungsstand, aber, Pläne heißen gar nichts, denn meistens kommt es völlig anders!



Als wir ins Tal rollen, liegt der Dunst schwer über den Hängen von Nagarkot. Doch es ist sonnig, milder Wind streicht über die Hänge und die Straße ist super zu fahren. Frisch asphaltiert, sehr kurvig und eng, doch die Fahrt macht richtig Spaß. Es ist wenig los, nur ein paar klapprige Überlandbusse oder die kleinen, vanartigen Busse, die die vielen Kinder in die Schulen bringen, rauschen an uns vorbei. Manchmal muss man sich auf diesen engen Straßen an so einem



Überlandbuss vorbeiquetschen, aber es geht meist gut. In vielen Dokus haben wir gesehen, oder besser formuliert, es wurde so hingestellt, dass die nepalesischen LKW- und Busfahrer, zu den rücksichtslosesten Piloten überhaupt gehören. Das ist unserer Erfahrung nach, nicht der Fall. Besonders auf den engen Bergstraßen sind alle super rücksichtsvoll. Vielleicht nicht die Minivanfahrer auf dem Highway Kathmandu - Pokhara, aber sonst herrscht hier gutes



Miteinander. Gut 10 Kilometer geht es den Berg hinunter, etwa 1000 Höhenmeter insgesamt, bevor wir in Zero Kilo, der Ort heißt wirklich so, zu einer größeren Straße gelangen, die uns auf den Tibet-Highway bringt. Von dieser Kreuzung aus, sind es noch ca. 65 Kilometer bis zur tibetischen Grenze. Doch wir werden vorher rechts abbiegen und wieder in die Berge fahren.



Der Tibet Highway ist nicht sonderlich viel befahren, vielleicht einige lokale Transportbusse, doch sonst ist die Straße leer und wir können laufen lassen. Das Tal ist ziemlich eng und die Berghänge ragen steil empor, doch leider verhindert der graubraune Dunst, dass man die Spitzen überhaupt sieht. Laut Karte sind die Gebirgszüge, die das Tal einrahmen alle mindestens 2000 Meter hoch, was bedeutet, dass die Bergziege, hinter dem Abzweig nach Jiri, wieder 1000 Höhenmeter überwinden muss, damit wir ins nächste Tal gelangen können.



Genauso kommt es auch. Nach unserer Pause an einem kleinen tibetischen Schrein, tief unten in der Talsohle, zeigt ein verwittertes Schild an, dass wir nun rechts abbiegen müssen, über den Fluss und den Berg rauf, wenn wir nach Jiri wollen. Auch hier ist nix los - super! Hatte schon die Horrorvision, dass sich hier LKW an LKW mit 0,5 Km/h den Berg raufschrauben. Aber wir haben freie Bahn. Touristen verirren sich nur selten Nach Jiri, eigentlich nur Harcore-Trekker, die von



Jiri aus, zum Everest Base Camp aufbrechen. Das Ganze dürfte dann so drei Wochen dauern, wenn man die Strecke von Jiri zum EBC per Pedes absolvieren möchte. Daher fliegen 99% der Everest-Trekker nach Lukla und laufen von dort aus los. In den vergangenen Tagen haben wir immer wieder - zugegebenermaßen - verstörende Berichte bekommen, wo man zeigt, wie die Everest-Touristen zum Gipfelsturm über jede Menge Leichen hinwegklettern. Aber, da die Insta-



Berichterstattung so zugenommen hat und eben jene Bilder durchs Netz kursieren, hat die nepalesische Regierung beschlossen, dass eine Sherpakolonne die ganzen Leichen nun bergen soll. Sehr krass. Uns war nicht bewusst, wie viele Menschen dort den Tod finden, einerseits, und andererseits, da noch so in Eis und Schnee rumliegen. Der wirklich härteste Post zeigt, wie eine Gruppe von Bergsteigern über eine gefrorene Leiche hinweg klettert . . . Was soll ich sagen ? Manchmal ist es besser nichts zu sagen.



Die Straße nach Jiri ist der Kracher. Ein Wahnsinnsblick bietet sich in jeder Kurve, doch leider muß ich mich stark konzentrieren, da das nepalesische Verkehrsministerium irgendwie vergessen hat, Seitenbegrenzungen an den Straßenrand zu bauen. Wann immer ich auf der Tal zugewandten Seite der Straße bin, kribbelt es mich immer etwas in der Magengrube. Vor allen



Dingen, wenn ich so zwischen Lenker und Crashbags auf den Straßenrand blicke und mein Blick gut 1000 Meter tief ins Tal gleitet, dann ist das Kribbelt wohl gerechtfertigt denke ich mal. Auf dem Bergrücken angekommen, verläuft die Straße über den Grad. Wir passieren etliche kleine Siedlungen und Dörfer. Anhand zahlloser farbiger Gebetsfahrnen und häufiger auftretenden tibetischen Schreine, sind wir wohl im überwiegend buddhistischen Teil Nepals angekommen.


Nach etlichen Kilometern, steigt die Straße erneut an und wir erreichen das Dorf mit den vielen kleinen Ziegel-Stupas. Da es hier keine wirklichen Pilgerorte gibt, zumindest nicht laut unserem Reiseführer nehmen wir an, dass es sich bei dem Dorf, um eine alte Karawanserei gehandelt hat. Um für eine gesunde und glückliche Reise zu beten, hat man entlang des ausgetretenen Fussweges, diese Schreine in einer langen Reihe angelegt. Der Weg führt direkt über den



Bergkamm und ist nur entlang der Stupas grob gepflastert. Außer uns, treiben sich nur ein paar Ziegen mit ihren Hüterinnen herum, ansonsten ist es still. Nur der Wind und die knatternden Flattergeräusche der Gebetsfahnen, durchbrechen die Stille. Obwohl das grelle Sonnenlicht der Mittagssonne keine besonders mystische Stimmung verbreitet, scheint dieser Ort doch eine



gewisse Form der Magie auf uns aus zu üben. Bilder von Stupas im Himalaya, über und über mit Gebetsfahnen behängt, sind ja nichts Ungewöhnliches mehr. Zumindest nicht in unseren medienüberfütterten Tagen, doch genau hier, zwischen all diesen alten Ziegeln, nimmt uns diese Stimmung doch sehr gefangen.

Wir verlassen die Schreine und es geht erneut 1000 Höhenmeter wieder runter tief ins Tal. Bhimeshwar ist nun nicht mehr weit. Die kleinen Schreine gehen mir nicht aus dem Kopf. Der Moment dort, hat einen sehr intensiven Nachhall in mir, auch noch Kilometer weit davon entfernt. Wieso, ist schwer zu erklären. Immer wieder kehren meine Gedanken zurück, zu diesen alten Steinhaufen und ich frage mich, warum es ausgerechnet hier in den Bergen so schwer ist, sich dem magischen Element dieses Ortes zu entziehen. Bonne nuit folks!


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