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Und ich kreuzte durch gewaltige Wogen das Meer.

Die Liebe in Zeiten der Cholera     

Gabriel Garcia Marquez     

Unsere Geschichte . . . 

Der Cursor blinkt, erbarmungslos, gleichmütig im Takt seines programmierten Algorhythmus, gibt nie Ruhe und drängt mich, einen Anfang zu finden. Das Blatt ist leer und erstaunlicherweise habe ich keinen Schimmer, wo ich beginnen soll. 

    Wo beginnt eine Geschichte, deren Entstehung, dem zähen Tropfen des Baumharzes gleich, jahrzehnte benötigte, um zur Geschichte zu reifen. Ein Harztropfen rinnt bedächtig an den tiefen Furchen der Rinde hinab, verweilt, aufgehalten von Verästelungen, schließt sich zusammen mit weiteren Tropfen, hinterlässt eine größere Spur und wächst immer zu auf seinem Weg. Ich dachte immer, mir stehe dieser eine Moment so klar vor Augen. Aber weit gefehlt, mein Kopf ist leer und mir fehlen tatsächlich die Worte! 

   

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Also beginne ich eine Karte zu zeichnen, genauer gesagt, eine Landkarte. Das hilft mir immer, meine Gedanken zu sortieren, innere Klarheit und Ruhe zu finden. Die inneren Stimmen sind laut, mein Herz schlägt einem wummernden Bass gleich und erinnert mich an die Sehnsüchte meiner Seele nach Weite und Grenzenlosigkeit. Mit der beruhigenden Taktung immer wiederkehrender Mausklicks entsteht nach und nach, Land für Land, ein grobes Abbild Asiens. Von Japan über China bis nach Indien und im Süden bis nach Indonesien, Sumatra und Java entwickelt sich eine persönliche Kartographie, die vielleicht irgendwann unsere Route darstellen wird. Zu den Linien, die die Grenzen des fernen Orients skizzieren, kommen Punkte hinzu, die die ersten Städte markieren. Dann die weißen, schneebedeckten Gipfel des nördlichen und südlichen Himalaya, Täler, Flüsse und Seen, Lhasa, Madras, Jakarta, Sarawak, Manila, und, und, und . . .  

Nun lichtet sich so langsam das Dunkel der Strecke. Es ist der 04.10.2022 und gerade habe ich mit der Reiseagentur InTime-Flugreisen in Hamburg über den Transport der Bergziege gesprochen. Wieso Bergziege, ach ja: Auf unserer Griechenlandprobetour hat Anni die GS kurzerhand in GiSelle Bergziege umgetauft. Warum, ist eine lange Geschichte und gehört in eine Griechenlanddepesche. Wann ich die schreiben soll, weiß ich noch nicht! Aber zurück zur Bergziege . . So - nun jeder braucht auf dieser Tour einen vernünftigen Spitznamen! Jawohl, also GiSelle Bergziege. Aber ich greife wieder vor  . . .   In den vergangenen Wochen haben wir eine Monsoontabelle angelegt, um auf unserer Route möglichst wenig nass zu werden.  Tja, was soll ich sagen, im Oktober sieht es gar nicht rosig oder besser gesagt, trocken aus! Aber was solls, wir können uns immer noch in eine lauschige Holzhütte am Golf von Thailand verschanzen und der Dinge harren, die da kommen. Ob diese Regenzeiten tatsächlich noch so planbar sind, lässt sich bei unseren Klimaveränderungen nicht wirklich bestimmen. Aber aufgrund

Wie reich ist doch dieser Teil der Erde an seltsam klingenden Namen, die verlockend und geheimnisvoll in meinen Ohren klingen, die meine Sehnsucht entfachen, Neugierde wecken und sirenengleich, mich mit einem faszinierenden Gesang in ihren Bann schlagen, locken und seit Jahrzehnten fesseln. Vielleicht ist es nur der kleine Junge oder gar der Romantiker in mir, der stundenlang fasziniert auf Landkarten starren kann, mit dem Finger über die schmalen Linien der Meridiane und Wendekreise gleitet und vor dessen Augen sich Welten aus der nebulösen Dämmerung in den tiefsten Winkeln seiner Vorstellungskraft erheben. Natürlich ist die Karte an jenem Abend nicht fertig geworden. Doch das Zeichnen gibt mir Halt und dämmt den unaufhörlichen Strom meiner Gedankenwelt ein, der immer wieder zu emotionalen Achterbahnfahrten führt und widersprüchlicherweise auch oft zu einem Gefühl der Leere, vergleichbar mit dem Bilck von den Felsen Finisterres auf das weite, endlose Meer. Finisterre, sinnbildlich für das Ende der Welt, das Ende eines Weges, einer Aufgabe, nichts mehr zu tun, nur noch der Wimpernschlag im Anblick der Unendlichkeit. Nichts bis zur unscharfen Linie des Horizonts! Vielleicht bin ich einfach inzwischen so in einer älltglichen Tretmühle gefangen, dass das innere Loslassen sehr komplex werden wird ... 

  Aber zurück zum Anfang, an den Ursprung - als sich die Weichen für diese Auszeit stellten. Auf den endlosen Schienensträngen Burmas, in den schwankenden Abteilen der Burmese Railway entwickelte sich für uns der ernsthafte Gedanke und Wunsch eines Ausstiegs aus dem Alltag. Natürlich haben wir uns immer schon mal Gedanken über einen zeitlich begrenzten Ausstieg aus dem Arbeitsalltag gemacht, aber, wer hätte das nicht? Seltsamerweise habe ich im Hinblick auf diesen Ausstieg meinem Arbeitgeber gegenüber immer ein schlechtes Gewissen gehabt. Vermutlich aus Pflichtgefühl heraus . . . 

  

 Ingo

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  Irgendwann im Oktober 2018 habe ich meinem scheidenden Chef dann den Antrag vorgelegt und er unterfackelte das Papier mit den Worten, wenn ihr klug seid, macht ihr das! Zu unserem größten Erstaunen wurde Anni nur wenige Tage später ebenfalls der Antrag genehmigt. Wer jetzt den Zustand des Erstaunens nicht nachvollziehen kann, hat niemals für eine Behörde gearbeitet, dessen alltägliches Regulativ im Hinblick auf einen gleichen Verwaltungsakt nicht unterschiedlicher sein könnte. Dann kam die Phase des schlechten Gewissens: Wochenlang hatte ich immer nur den Gedanken, alles und jeden im Stich zu lassen. Unerklärlich, aber es ist scheinbar und sprichwörtlich die Angst vor der Freiheit. Die Menschen in meinem Umfeld bekamen und bekommen immer einen glasigen Blick, eine Mischung aus Bewunderung, Neid und Faszination. Ihr traut euch was, ist dabei der häufigste Satz, wenn er auch in tiefer Bewunderung ausgesprochen. Dennoch beschleicht mich immer noch ab

und zu der Gedanke, was in meinen Verantwortungsbereichen, beruflich wie privat, alles in meiner Abwesenheit passieren kann . . . 

  Dieser tief gehegte Traum wirbelt - nun, da es nur noch einige Monate sind - alles durcheinander, was Menschen meiner Generation und in unserem Kulturkreis normalerweise so denken und auch tun. Natürlich ist diese Auszeit kein Alleinstellungsmerkmal unseres Lebens, beileibe nicht - Insta ist voll von Menschen, die ihren Beruf an den Nagel hängen oder unterbrechen. Zunächst war es nur ein tiefes Bedürfnis, ein leises Pochen an der massiven Tür unserer Seelen, die uns und besonders mich oft im nervtötenden Alltag vor dem Lockruf der Ferne schützen. Eigentlich war es anfangs nur ein amtliches Formular, so mit Stempeln und einem verpflichtendem Aussehen, aber eben doch nur ein Papier. Ordentlich abgeheftet, ist es in den Tiefen eines geduldigen Aktenordners in meinem Aktenschrank verschwunden und schlummert dort einem versunkenen Schatz gleich bis zur Öffnung vor sich hin. Zwischendurch vergaß ich sogar, dass es existierte und damit auch die kolossale Zeit, die wohl auf uns warten wird . . .

 

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dieser netten Lücke in den Sommermonaten in Indonesien, Sumatra und Java scheint der Beginn der Route nun - zumindest regentechnisch gesetzt zu sein. Immer wieder diskutieren wir Strecken, Distanzen und Sightseeingziele - eine Schnittmenge aufgrund der Fülle zu finden, ist nahezu unmöglich. Zeitweilig kommt es uns so vor, dass ein Jahr gar nicht ausreiche? 

   Aber nach zahllosen Kaffees engen wir den Startpunkt auf vier Anflugziele ein: Bangkok, Hanoi, Singapur und Jakarta. Bangkok ist einer der größten Drehscheiben in Asien und versteht sich von selbst. In Vietnam endet die Regenzeit aller Voraussicht nach im August, was für Hanoi spricht. Singapur oder Jakarta ermöglichen uns Sumatra, Java und Bali zu besuchen, ohne eine lange An- und Rückfahrt aus Thailand. Aufgrund scheinbar sehr hoher und auch staatlich gewollter Formalitätshürden in Bangkok und Hanoi für die Einfuhr eines Motorrades, empfiehlt uns die sehr versierte Firma InTime Reisen Singapur oder Jakarta. Damit ist unser Startpunkt definiert, jetzt wird es ernst! Nun muss Papierkram erledigt werden und auf einmal ist alles erschreckend real für uns. Nicht, dass ich Malessen vor dem Trip hätte, aber ein gewisses Maß an Respekt ist schon da. Bis heute war es immer eher surreal, allein schon aufgrund der langen Ansparphase. Aber nun ist es da und alles, was bisher nur in der Theorie geplant wurde, muss jetzt in die Realität umgesetzt werden: Die Bergziege muss in den letzten Check-up, der Carne´ de Passage muss besorgt werden, Fahrzeugbrief zum Reiseveranstalter, ein internationaler Führerschein steht auf der Liste, Impfausweise digitalisieren und überhaupt die Impfrallye geht wieder los  . . .  

  Also ziehe ich mich in meinen Korbsessel zurück, wie einst Corto Maltese in der Südsee und versuche, mir der irren Hybris bewusst zu werden, mit der wir einen Erdteil bereisen wollen, der unterschiedlicher nicht sein könnte. Da sich nun Jakarta als Anflugziel und Ausgangspunkt herauskristallisert, werden wir vermutlich unsere Reise dort beginnen, auch wenn auf den Aufnähern Bombay-Shanghai steht. Im Laufe von fünf Jahren darf sich das ein oder andere Detail wohl auch mal ändern. Außerdem finde ich dieses kleine Augenzinkern, dass dem Schicksal geschuldet ist, eigentlich auch ganz rührig. China ist gerade mit all den coronabedingten Unwägbarkeiten als unsicherer Reisefaktor anzusehen. Wir werden deshalb versuchen, im Frühjahr 2024 von Indien oder Nepal aus nach Tibet einzureisen. Denn eigentlich hat China einen ziemlich großen Platz in meinem Herzen, nicht zuletzt, wegen der einfachen Menschen dort. Besonders auf dem Land, ist es in seiner Ursprünglichkeit einfach toll zu bereisen. Aber mit all den derzeitigen Vorgaben können wir mit China gerade einfach nicht planen. Frühjahr 2024 sind noch eineinhalb Jahre hin und vielleicht hat sich bis dahin die

  

Situation im Hinblick auf die Pandemie schon etwas entspannt? Tibet mit seinen Bergklöstern interessiert uns sehr, weshalb wir unbedingt versuchen werden, von Nepal aus oder Indien einen Grenzübertritt zu versuchen. Da Indien und China häufiger Mal an der Grenze mit den Säbeln rasseln, ist natürlich zu diesem Zeitpunkt unklar, ob das überhaupt möglicht ist. Gleichermaßen ist die Frage nach Bhutan für uns interessant, da es aber sehr strikte Einreisebeschränkungen gibt, bleibt das Bhutanthema wirklich ungeklärt, bis wir aus dem Assam-Tal herauskommen und an der Grenze anklopfen und um Einlass bitten werden. 

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Gefühlt geht es nun endlich los, gefühlt zumindest. Nach 4,5 Jahren der losen oder auch gezielteren Planung ist nun endlich alles in konkreter Nähe. Natürlich können immer noch unendlich viele Unwägbarkeiten auftreten, aber es gibt einen, nun, wie soll ich es nennen, einen „Vorgang“, der das Näherrücken unserer Reise verdeutlicht. Man kann einfach keine Entscheidungen mehr nach „hinten“ schieben. 4,5 Jahre lang konnten wir je nach unserem jeweiligen Planungsstadiums sagen, da kümmern wir uns später drum oder, das sehen wir dann! Diese lange und oft auch surreale Phase ist nun vorbei und wir nähern uns mit großen Schritten der letztendlichen Planungsphase . . . 

   Jetzt wird es Jakarta - verrückt! Nun müssen alle Entscheidungen unverrückbar getroffen werden, was in meinem Kopf eine neue Stufe der inneren Freude hervorruft. Endlich, nach 4,5 Jahren, ist nun schließlich der Moment gekommen, wo wir richtig starten können. Vieles ist geklärt, vieles noch nicht! Und ist es überhaupt notwendig, alles zu klären? Wir haben Listen über Listen gemacht, Dinge gestrichen

Dinge hinzugefügt und dann doch wieder verworfen. Fakt ist - zumindest die Quintessenz aller unserer Reisen - man kann nicht alles planen!!! Trotz aller „Reiseperfektion“ soll es auch noch ein Abenteuer werden, und - wieder unserer Erfahrung nach - wird es das von ganz alleine werden. Es kann immer alles mögliche passieren - wem wäre das in diesen machmal auch dunklen Zeiten - nicht klar. Wer mehr Argumente findet, nicht in die Welt hinaus zu gehen, der bleibe daheim.  Wir wollen wieder hinaus in die Welt, denn nur wer sie kennt, kann sie verstehen!

 

Anni & Ingo im Oktober 2022

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